Sie hat die Augen einer Mangafigur und das Mündchen eines Disney-Charakters. Doch im Gegensatz zu Rin Tohsaka oder Pocahontas trägt das kindliche Luxusgeschöpf namens Noonoouri heute Versace, morgen Valentino. Ihr Zuhause ist Instagram. Dort hat sie 267.000 Abonnenten, darunter Prominente wie Kim Kardashian und Naomi Campbell.

Auf dem Social-Media-Kanal führt das Model mit den großen Augen und den Klimper-Wimpern wie jede normale Influencerin Designerkleider vor, hält einen Parfumflakon von Miu Miu in der Hand oder posiert Seite an Seite mit der ehemaligen Vogue-Chefin Carine Roitfeld für das Cover des französischen Magazins Madame.

Ihre Vorteile gegenüber einem durchschnittlichen Teenager-Model: Noonoouri bekommt keine Pickel, sie altert nicht, hat keine Launen, ist niemals hungrig, sie kann heute die Champs-Élysées entlangschlendern und morgen im Big Apple Pommes essen, wenn es ihre Erfinder so wollen.

Das digitale Model Noonoouri hat 267.000 Follower. Rund drei Tage dauert die Entwicklung von Visualisierungen wie dieser.
Foto: Jörg Zuber / Noonoouri

Sie ist ein so willenloses wie faszinierendes Geschöpf, ein digitales Model, das sich allein den Ideen seiner Macher verpflichtet fühlt. Und sie ist nicht die Einzige, die derzeit in den sozialen Netzwerken unter einem schillernden Fantasienamen um Klicks und Likes buhlt.

Shudu, Lil Miquela und Noonoouri wirken, als wären sie überall auf der Welt zwischen Paris und Schanghai zu Hause. Dass Noonoouri ein Münchner Kindl ist, sieht man ihr nicht an. Erschaffen wurde sie von dem Münchner Agenturinhaber Jörg Zuber. Vor acht Jahren habe er die Idee zu einem digitalen Charakter gehabt, dann ging alles ganz schnell. Er habe Noonoouri in einer halben Stunde an seinem Esstisch mit Bleistift auf Papier entworfen, am Computer nachgezeichnet und in Photoshop übersetzt, erzählt er.

Wenn Zuber die Schöpfungsgeschichte seines Models wiedergibt, klingt die Angelegenheit reibungsloser, als sie tatsächlich war. Das digitale Model zum Leben zu erwecken stellte sich als aufwendige und kostspielige Sache heraus. Zwischen 100.000 und 150.000 Euro habe die technische Entwicklung der Figur gekostet.

Die gesamte Knochenstruktur des Models, Elle, Speiche, Wade mussten nachgebaut werden. Dann wurde definiert: Wie soll Noonoouri blinzeln, wie sich bewegen? Allein acht Wochen wurden mit der Gestaltung der Haare (in Bewegung) zugebracht. Heute benötigt das sechsköpfige Team hinter Zuber für einen einzigen Post auf Instagram drei Tage, für eine Animation sogar zwischen zwei und sechs Wochen – je nachdem, ob das Model die Haare offen oder zusammengebunden, ein fließendes oder ein eng anliegendes Kleid trägt.

Dass ausgerechnet solche kosten- und zeitintensiven Erfindungen wie Noonoouri in einem so schnellen Geschäft wie Social Media die Zukunft sein sollen, ist so selbstverständlich nicht.

Ein Geschäftsmodell

Deshalb erklärt Zuber auch ohne Umschweife: "Um all den Aufwand aufrechterhalten zu können, muss Noonoouri ein Geschäftsmodell sein." Das digitale Model muss also möglichst viele Aufträge von Unternehmen an Land ziehen. Und ein Investor schadet dem Erfolg der Unternehmung auch nicht. Die Suche hat den Münchner einige Nerven gekostet. "Ganz oft habe ich von möglichen Investoren, meistens Männern, das Feedback bekommen, dass es doch toll wäre, wenn Noonoouris Brüste größer oder die Lippen voller, die Augen blau und die Haare blond wären."

Doch Zuber wollte seiner Noonoouri partout "keinen Barb-Wire-Busen machen". Stattdessen verpasste der Agenturinhaber ihr Eigenschaften, die viel mit ihm selbst zu tun haben. Noonoouri lebt wie ihr Erfinder gesundheitsbewusst und vegan, zwischen den Modepostings informiert sie mal über die Genitalverstümmelung von Frauen in Afrika, ein andermal über die Top-Ten-Videos von Beyoncé, zwischendurch ist in den Instagram-Storys ein Musical zu bewundern. Zuber: "Sie ist nicht nur das Püppchen, das schön angezogen ist."

In der Vergangenheit kannte man animierte Figuren wie Noonoouri im Modebereich als digitale Anziehhilfen in Onlineshops. Sie waren nicht mehr als seelenlose Kleiderständer und sollten den Kunden einen besseren Eindruck davon vermitteln, wie Jacken, Jeans und T-Shirts getragen aussehen. Heute müssen virtuelle Models Persönlichkeit haben, um in den sozialen Netzwerken mithalten zu können. Das ist nicht so einfach.

Ein Männertraum sind die digitalen Models und Influencerinnen allerdings, denn hinter ihnen stehen in den meisten Fällen männliche Erfinder. Das schwarze Model Shudu mit seinen 159.000 Followern beispielsweise wurde von dem britischen Fotografen Cameron-James Wilson entworfen.

Model Shudu wurde von einem Briten erfunden. Aktuell wirbt sie im Trainingsanzug für die Marke Ellesse.
Foto: Ellesse

Als Fotograf muss er nun nicht mehr arbeiten, er hat in seiner Agentur The Diigitals eine ganze Galerie an virtuellen Charakteren im Angebot, darunter befinden sich (wie es der Zeitgeist heute verlangt) auch die Plus-Size-Frau Brenn und das muskelbepackte Männermodel Koffi.

Und Shudu? Sie ist so etwas wie der Vorzeigecharakter der Agentur, auch weil sie wie eine elegante, langgestreckte Modezeichnung in 3D aussieht. Ihr Aussehen kommt nicht von ungefähr: Das Model wurde nach dem Vorbild von Barbie erdacht. Im Gegensatz zu Noonoouri aber soll sie möglichst "echt" aussehen.

Deshalb hat Shudu auch schon einen ersten Shitstorm erlebt. Der New Yorker hat im vergangenen Jahr einen kritischen Artikel veröffentlicht, der Vorwurf: "Shudu ist die digitale Projektion eines weißen Mannes von real gelebter schwarzer Weiblichkeit." Cameron-James Wilson entgegnete, es gehe ihm um "Diversität".

Längerfristig scheint die Geschichte der Auftragslage nicht geschadet zu haben. Designer Olivier Rousteing engagierte das Model im Herbst des vergangenen Jahres gemeinsam mit ihren Artgenossinnen Margot und Zhi für eine Digitalkampagne des französischen Modehauses Balmain. Genauso gut sieht Shudu im Trainingsanzug aus: Aktuell wirbt sie für die Sportbekleidungsmarke Ellesse.

Ähnlich rund läuft es bei Noonoouri. Ihr erster Auftraggeber war 2018 gleich eine große Nummer: Das zum französischen Luxuskonzern LVMH gehörende Modehaus Dior beauftragte das digitale Model, obwohl es damals erst 30.000 Follower hatte. "Maria Grazia Chiuri ist seit Beginn ein Fan von ihr", erklärt Zuber. Heute kann Noonoouri auf sieben Coverproduktionen für Printmagazine zurückblicken, die Münchner Unternehmung arbeitet mit Parfum- und Kosmetikbrands zusammen, zuletzt wurde für das Modehaus Valentino ein Spot zu einer neuen Tasche produziert.

Konkurrenz für echte Models

Doch nehmen nun Noonoouri, Shudu und Brenn echten Models wie Kaia Gerber, Gigi Hadid und all den namenlosen Models die Jobs weg? Noch scheint dem nicht so. Denn noch ist die Entwicklung der Figuren kostenintensiv, noch sind sie eine Minderheitenerscheinung, noch wirken digitale Influencer wie exotische Wesen oder lustige Gimmicks.

Gefährlich könnten realen Models eher Charaktere wie Lil Miquela werden. Dem frechen digitalen Wesen mit der Zahnlücke folgen auf Instagram schon 1,5 Millionen Menschen. Die Halbbrasilianerin – ihr bürgerlicher Name lautet Miquela Sousa – ist die clevere linksliberale Kopfgeburt des amerikanischen Start-ups Brud, genauer des DJs und Produzenten Trevor McFedries und seiner Mitgründerin Sara Decou. Sie kommt auf Instagram leichtfüßiger daher als die Konkurrenz. Genau das könnte sie zu einem Model mit Zukunft machen. (Anne Feldkamp, RONDO, 16.4.2019)