Slavoj Žižek warnt vor einer "Entzauberung des Erotischen". Warum der Philosoph irrt, erläutert die Literaturwissenschafterin Bernadette Grubner im Gastkommentar. Und sie ortet "verschämte Lustquellen" im feministischen Diskurs.

Der Feminismus schafft die Erotik ab, behauptete Slavoj Žižek kürzlich in der "NZZ". Die Antworten von feministischer Seite ließen nicht auf sich warten und hatten alle einen ähnlichen Tenor: Hier beweint offenbar ein alternder Philosophieprofessor die schwindende männliche Kontrolle über Frauen und den Sex (Margarete Stokowski). Dabei berührt das Thema ganz andere, weiter reichende Fragen, die für den Feminismus vital sind: Wie funktioniert das Begehren, das in erotischen Darstellungen des Geschlechterverhältnisses verhandelt wird? Und ist der feministische Kampf vielleicht selbst in das verstrickt, was er kritisiert?

Denn die Sexualität ist nicht in erster Linie der Feind des Feminismus – sie ist zuallererst dessen blinder Fleck. Und das wird dort erkennbar, wo der Kampf gegen das Patriarchat selbst einem sexuellen Skript folgt, das wenig zur Veränderung des Geschlechterverhältnisses beiträgt, aber ausgezeichnet dazu geeignet ist, dessen libidinöse Struktur durch Entthematisierung verschämt genießbar zu machen.

Femen-Aktion am 8. 3. im Hamburger Rotlichtviertel: Mit sexuellem Skript das Patriarchat zerstören?
Foto: APA/AFP/PATRIK STOLLARZ

Phallische Frau oder juicy Opfernarrativ

Im medialen Diskurs gibt es derzeit zwei dominante Spielarten dieser unwillentlichen Komplizinnenschaft: die junge, phallische Frau und das juicy Opfernarrativ.

Bei der jungen, phallischen Frau geht es um einen Kampf gegen die strukturellen Vorteile, die das Patriarchat Männern im Lauf ihres Lebens verschafft. Den Kampfbegriff dafür – "alte weiße Männer" – hat Sophie Paßmann kürzlich aufs Tapet gebracht. Sie schrieb ein Buch mit Interviews solcher "alter weißer Männer" und unterhielt sich darüber wenige Tage vor seinem Erscheinen mit Jan Fleischhauer auf Spiegel online. Dieses Gespräch funktioniert ausgezeichnet als Werbung, und zwar aufgrund seiner verdeckten Sexualisierung.

Schlagfertig, präzise und unfair

Paßmann streitet schlagfertig, präzise und unfair. Sie dreht Fleischhauer das Wort im Mund um. Dem Fehler, den sie Frauen attestiert, nämlich Selbstzweifel, sitzt sie selbst nicht auf. Sie lässt sich weder dort irritieren, wo sie provoziert wird, noch dort, wo tatsächlich etwas Bedenkenswertes gesagt wird. Salopp könnte man sagen: Sie hat die Hosen an – eine umgangssprachliche Umschreibung für ein Verhalten, das die Psychoanalyse als "phallisch" bezeichnet.

Paßmann schmiegt sich also an die Streitkultur von Männern an, ganz im Sinne eines Empowerments, das die Frauen aus ihren Unterlegenheitsgefühlen herauskatapultieren und zu fähigen Konkurrentinnen auf dem (Meinungs-)Markt machen soll. Dabei ist Paßmanns Argumentation überhaupt nicht darauf angelegt, Fleischhauers Überzeugungen ins Wanken zu bringen. Stattdessen ermöglicht sie ihm, die Rolle des freundlich-gönnerhaften Galans zu spielen, leicht väterlich und ein wenig selbstverliebt. Alles in allem: ein Geplänkel in einem inszenierten Spiel von Dominanz und Unterwerfung. Da nichts – aber auch gar nichts – auf dem Spiel steht, lässt sich der Flirt besonders gut konsumieren.

Sexuelle Fantasien

Beim zweiten Beispiel handelt es sich nicht um ein sexuell aufgeladenes Sprechen, sondern um ein Sprechen über sexuelle Gewalt. Auch hier werden – in eklatanter Verkennung dessen, wie die Sprache als Quelle, Vehikel und Vollzugsort des Begehrens funktioniert – gerade im Anprangern eines Missstandes unter der Hand sexuelle Fantasien aufgerufen und beflügelt.

Zeigen lässt sich das mit Blick auf die USA. Hier ist es üblich, dass ein Opfer eines sexuellen Angriffs durch eine öffentliche Person den Vorfall detailliert schildert und als schriftlichen Bericht veröffentlicht, um glaubwürdig zu sein. Zuletzt geschah dies im Fall des aktuellen Vizegouverneurs des US-Bundesstaates Virginia, Justin Fairfax, dem zwei Frauen Vergewaltigung vorwarfen. Vanessa Tyson (eine der beiden Betroffenen) schilderte das Geschehene detailliert in einem offiziell aufgesetzten und im Internet verbreiteten Dokument. Und genau dieses "too much information" gibt dem Anprangern einen perversen sexy Anstrich.

Verschämte Lustquelle

Etwas Ähnliches lässt sich auch in den Berichten über sexuelle Übergriffe finden, die US-amerikanische Universitäten regelmäßig veröffentlichen (in Yale zum Beispiel halbjährlich). In einem an die Community übermittelten und online abrufbaren Dokument werden nach statistischen Aufstellungen kurze Beschreibungen jedes einzelnen gemeldeten Falls sexuellen Fehlverhaltens aufgeführt – in amtlich-nüchterner Sprache, aber ausführlich genug, um der sexuellen Fantasie Nahrung zu geben. Sowohl die Zeuginnenaussage als auch der Bericht über sexuelles Fehlverhalten ist vom Bemühen getragen, von der sexuellen Gewalt das Sexuelle abzuziehen. Doch stattdessen wird das Erregungspotenzial, das die Gewaltdarstellung hat, unwillentlich gesteigert.

Was haben nun diese so unterschiedlichen Beispiele mit dem Feminismus und seinem schwierigen Verhältnis zur Erotik zu tun? Sie verdeutlichen, dass die gegenwärtige Tendenz weniger dahin geht, dass die traditionelle Erotik verboten oder abgeschafft wird, wie Žižek es zu befürchten scheint. Vielmehr besteht sie als verschämte Lustquelle unter der Hand fort, und zwar nicht zuletzt in Form aktueller Kämpfe gegen Missstände und Schieflagen, seien es die Privilegien "alter weißer Männer" oder konkrete sexuelle Gewalterfahrungen.

Begehren und Machtbeziehungen

Hier wie dort – und da liegt das eigentliche Problem – wird das Bewusstsein für diesen Zusammenhang ausgeblendet und damit die Chance verschenkt, etwas über die Strukturiertheit des Begehrens und seine Verwicklung in Machtbeziehungen zu lernen. Und noch weniger wird so ein Verständnis dafür ermöglicht, wie Frauen in diese Begehrensszenarien verstrickt sind.

Dabei müsste es – gerade angesichts des irritierenden Beharrungsvermögens patriarchaler Strukturen – ein zentrales Anliegen des Feminismus sein, seiner Eingemeindung in kulturelle Formen sexuellen Begehrens und ihrer Verbindung mit dem sozialen Gewebe der Gegenwartsgesellschaften nachzuspüren. Zum einen, um einen selbstbewussten Umgang damit zu entwickeln, der Frauen einen Spiel-Raum in der Ambivalenz eröffnen könnte. Zum anderen aber auch, um Möglichkeiten und Grenzen neuer kultureller Formen erotischen Sprechens und Schreibens auszuloten. (Bernadette Grubner, 2.4.2019)