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US-Präsident Donald Trump findet es höchst an der Zeit, dass sich die europäischen Nato-Mitglieder stärker engagieren.

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STANDARD: Am Donnerstag treffen sich die Außenminister der Nato in Washington, um den 70. Geburtstag des Bündnisses zu feiern. Wird das ein Krisentreffen?

Major: Die Nato kann eigentlich auf eine erfolgreiche Geschichte verweisen. Wenige Verteidigungsbündnisse überleben so lange. Anscheinend halten ihre Mitglieder diese Allianz für eine notwendige Institution. Die Nato hat es auch geschafft, sich in ihrer Geschichte immer wieder neu zu erfinden und sich an neuen Herausforderungen anzupassen. Andererseits sind viele der Alliierten extrem beunruhigt, dass das wichtigste Mitglied, die USA, immer weniger Interesse zeigt. Die Nato ist aktuell von innen heraus instabil.

STANDARD: Inwiefern?

Major: Es rumpelt im transatlantischen Verhältnis, weil sich die USA in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik anders aufstellen. Das Paradigma der Großmachtkonflikte ist das neue US-Leitmotiv. Und eines der zentralen Elemente dabei ist der Konflikt mit China. Darüber hinaus gibt es auch Probleme innerhalb der europäischen Alliierten, geeinte Positionen zu finden. Die militärische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Nato beruht zu einem großen Teil darauf, dass die Alliierten alle an einem Strang ziehen und nach außen Solidarität bekunden. Deswegen ist das politische Element so wichtig.

STANDARD: Donald Trump soll den Austritt aus der Nato zumindest erwogen haben. Wie weit würde er Ihrer Meinung nach gehen?

Major: Die USA müssten nicht einmal austreten: Für die Nato wäre es schon ein Riesenproblem, wenn die USA sich politisch und militärisch weniger engagieren würden oder hier zunehmend Unsicherheit herrscht. Die Probleme beginnen also schon vor einem Austritt, denn militärisch sind die USA zentral für die Verteidigung Europas. Die Nato ist aber auch eine politische Allianz. Die USA waren immer diejenigen, die für Einigkeit gesorgt, die politisch geführt haben. Gleichzeitig haben sie die Europäer gepusht, damit sie sich weiterentwickeln.

STANDARD: Wie nachhaltig ist die Solidarität in der Nato schon geschädigt, und welche Konsequenzen müssen die Europäer ziehen?

Major: Eines der wichtigsten Ziele der Alliierten in der Nato muss es sein, diesen inneren Zusammenhalt, die Solidarität, wieder zu stärken. Und damit meine ich nicht nur das transatlantische Verhältnis, sondern eben auch den Zusammenhalt innerhalb Europas. Zum Beispiel mit der Türkei, zum Beispiel mit Polen. Das setzt natürlich auch voraus, dass die europäischen Staaten ihre Verteidigungsaufgaben ernst nehmen und zu den Zusagen stehen, die sie in der Allianz gemacht haben.

STANDARD: Apropos Zusagen: 24 der 29 Nato-Mitglieder haben 2018 ihre Verteidigungshaushalte vergrößert, aber nur neun von ihnen werden dieses Jahr das Bündnisziel erreichen, zwei Prozent ihres BIPs für Verteidigung auszugeben. Warum ist vor allem die Kritik der USA an Deutschland so groß?

Major: Weil Deutschland eines der wirtschaftlich stärksten Länder in Europa ist und damit eine Vorbildwirkung hat. Deutschland strebt außerdem selbst eine prägende Rolle in der internationalen Politik an und will den Multilateralismus stärken. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, auch seine Zusagen zu erfüllen. Deutschland arbeitet außerdem sehr eng mit anderen zusammen. Wenn also Deutschland geschwächt ist, werden auch andere geschwächt. Der deutsche Verteidigungshaushalt bedeutet einfach eine große Menge Geld. Deutschlands 1,3 Prozent sind circa 43 Milliarden Euro, Estlands etwas mehr als zwei Prozent sind circa 523 Millionen Euro.

STANDARD: Was die Nato-Erweiterung betrifft: Das Bündnis hat seine Türen für die neuen Demokratien des ehemaligen Ostblocks geöffnet. Mittlerweile sind es 29 Mitglieder. Das nächste Land wird Nordmazedonien. Wann soll Schluss sein?

Major: Das ist eine in der Nato zutiefst umstrittene Frage. Die einen sagen, das Recht auf freie Bündniswahl muss existieren, kein anderer Staat, etwa Russland, darf hier ein Veto haben. Deswegen sollte die Nato mit der Erweiterung weitermachen und zu ihrer Zusage zum Beispiel an Georgien stehen. Sie sehen die Erweiterung auch als wichtiges Transformations- und Stabilisierungsinstrument. Andere Staaten sind eher skeptisch. Sie betonen die Leistungsfähigkeit der Nato und befürchten negative Folgen für den Zusammenhalt der Nato und ihre Einsatzfähigkeit. Es wäre auch fraglich, ob beziehungsweise wann die Nato in der Lage wäre, diese Staaten militärisch zu verteidigen, also ob man Artikel 5 auch tatsächlich umsetzen kann. Diese Debatte kann momentan noch hinausgeschoben werden, wird sich in Zukunft aber dringlicher stellen, und dann müssen die Staaten sich einigen.

STANDARD: Welche Debatten sind neben dem Schlüsselthema der fairen Lastenverteilung und der Erweiterung noch vorrangig?

Major: Die nukleare Abschreckung und wie die Nato auf das Ende des INF-Vertrags reagiert, ist eine wichtige Frage. Bedeutend ist außerdem auch, wie man das Krisenmanagement im Süden und die kollektive Verteidigung im Osten in ein ausgewogenen Verhältnis setzt. Das Verhältnis zu Russland ist ein Dauerthema, und dann ist da natürlich noch die Frage des Umgangs mit neuen technologischen Herausforderungen, zum Beispiel neuen Waffensystemen. Die größte und wichtigste Herausforderung ist aber die Frage, wie die transatlantischen Beziehungen weitergehen und ob die Europäer in der Lage sind, mehr für ihre Verteidigung zu machen. Dazu gehört auch zu bestimmen, wie sich die Nato zum neuen Leitmotiv China in der US-Politik positionieren wird.

STANDARD: 2014 ist als Reaktion auf die Annexion der Krim und die Invasion in der Ostukraine schon ein großer Reformprozess angestoßen worden. Reicht der, um den Herausforderungen zu begegnen?

Major: Bis 2014 war das dominante Thema der Nato das Krisenmanagement, Stichworte Afghanistan, Libyen, Balkan. 2014 bedeutete für Europa das Ende der halbwegs kooperativen Sicherheitsordnung mit Russland, die Rückkehr zu militärischen Mitteln, die verstärkte Rolle von Nuklearwaffen. Die Nato konzentrierte sich wieder auf ihr Kerngeschäft, die kollektive Verteidigung. Und das hat dazu geführt, dass sich die Allianz neu aufgestellt hat: eine Rückkehr zur Kernaufgabe, aber unter anderen Rahmenbedingungen. So wurde die Streitkräftestruktur und die Kommandostruktur verändert, die Entscheidungsverfahren wurden überarbeitet. Seit 2014 ist sehr viel passiert. Trotzdem bleiben noch viele Hausaufgaben für die Zukunft. (Manuela Honsig-Erlenburg, 4.4.2019)