Seine Mühe, das jahrelange Engagement im Sinn der Aufklärung schienen vergebens gewesen zu sein: Alle Ausgrabungen sind mittlerweile wieder dem Erdboden gleichgemacht worden, sämtliche gefundenen Objekte und Baudokumente wie Graffiti in den NS-Bunkeranlagen, die dieses finstere Kapitel der Grazer Geschichte sichtbar gemacht hatten, wieder mit Beton versiegelt.
"Es hat den Anschein, dass wir nie die Wahrheit erfahren werden", bedauert der Grazer Arzt Rainer Possert. Er meint jene Wahrheit, die unter der Erde dieses Areals des ehemals größten NS-Zwangsarbeiterlagers im Grazer Wohnbezirk Liebenau liegt.
Diese könnte aber, anders als von Possert befürchtet, tatsächlich demnächst im Zuge eines Bauprojekts – auf dem Lagergelände sollen 60 Wohnungen entstehen – zumindest teilweise ans Licht kommen.
Der Mediziner, der in diesem Viertel ordinierte und aufgrund zahlreicher Erzählungen seiner Patienten historische Nachforschungen betrieb, geht davon aus – was mittlerweile auch das Bundesdenkmalamt nicht ausschließt -, dass dort noch hunderte Opfer aus der NS-Zeit vergraben sein könnten. An diesem Donnerstag soll bei einer von der "Gedenkinitiative Graz Liebenau – Lokalgruppe Mauthausen-Komitee" organisierten Feier am "Grünanger" der Opfer gedacht werden.
Nach ersten Grabungen, die aufgrund des Murkraftwerks notwendig geworden waren, wurden vor Monaten Fundamente, Stollengänge und Bunker des Lagers offengelegt – und wieder planiert. Nichts erinnert mehr an jene Monate des Kriegsjahrs 1945, in denen das Lager auch als Organisationszentrale für den Todesmarsch tausender ungarischer Jüdinnen und Juden diente.
"Wozu graben?"
7000 bis 9000 Menschen wurden von hier aus Richtung Mauthausen getrieben, hunderte starben an Krankheiten oder Erschöpfung noch im Lager oder wurden ermordet und – so die Vermutung – in Bombentrichtern verscharrt. Die schwarz-blaue Stadtregierung reagierte auf Forderungen, dieses historische Gelände doch endlich archäologisch zu untersuchen, meist nur kurz angebunden. "Wozu graben?", hieß es, es seien bloß "bisher haltlose, völlig unbegründete Spekulationen eines Arztes".
In der Magistratsabteilung Wohnen Graz sieht man das mittlerweile gänzlich anders. "Wir müssen mit allem rechnen", sagt der für das Wohnbauprojekt zuständige Leiter des Baumanagements, Herbert Rauscher, im Gespräch mit dem Standard.
Die zwei- und dreigeschoßigen Bauten würden allerdings nicht unterkellert. Es sei mit weitläufigen "Kriechgängen" aus dem Krieg zu rechnen, die wolle man nicht zerstören. Um Tiefbaumaßnahmen (Kanal- und Leitungsbau) komme man aber nicht herum. "Da sind wir aufs Schlimmste vorbereitet", sagt Rauscher. Das Gelände sei mit Bombenkratern übersät, "da ist nicht ausgeschlossen, dass wir womöglich Körperteile finden, die noch rasch vor Schließung des Lagers verscharrt worden sind. Das sind natürlich nur Vermutungen. Wenn wir aber Knochen oder organische Reste finden, wird die Baustelle sofort versiegelt, das Ministerium benachrichtigt und das Bundesdenkmalamt eingeschaltet."
"Sind in größter Sorge"
Bisher sei bei Vorarbeiten nichts gefunden worden. "Wir sind natürlich in größter Sorge, vor allem wenn es Knochenfunde gibt, das macht uns am meisten nervös", sagt Rauscher. Seine Abteilung habe jedenfalls ein archäologisches Unternehmen engagiert, das den Bau begleite.
Was Rauscher nicht sagt: Etwaige Funde hätten natürlich weitreichende Konsequenzen. Denn abseits des Wohnbauprojekts liegen auch ein Kindergarten, das Jugendzentrum und Gemeinde-Tennisplätze in "Verdachtszonen" für Bombentrichter. (Walter Müller, 4.4.2019)