Ist es tatsächlich das Ende der Ära Abdelaziz Bouteflika?

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Nach mehr als sechswöchigen Massenprotesten ist Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika dann doch zurückgetreten. Der am Dienstagabend verkündete Schritt war für viele längst überfällig, doch die hinter dem Staatschef stehende Fraktion im Machtapparat hatte bis zuletzt versucht, sich mit mit ihr rivalisierenden Teilen des Sicherheitsapparats zu arrangieren. Vergeblich. Bouteflikas Seilschaften in Algeriens hochgradig zersplittertem Regime sind angezählt und werden verstärkt zur Zielscheibe aufstrebender und sich neu organisierender Interessengruppen, die seit Wochen auf Bouteflikas Sturz hinarbeiten.

Algeriens Generalstabschef und Vizeverteidigungsminister Ahmed Gaïd Salah wird dabei immer mehr zur zentralen Figur: Nur Stunden vor Bouteflikas Rücktrittserklärung hatte er sich mit der Militärführung getroffen und die "sofortige" Anwendung von Artikel 102 der Verfassung und damit ein Amtsenthebungsverfahren oder den Rücktritt des Präsidenten gefordert.

Positionierung für Übergangsphase

"Unsere Entscheidung ist klar und unwiderruflich. Wir unterstützen das Volk, bis die Forderungen voll und ganz erfüllt sind", so der seit 2004 amtierende Armeechef. Die Präsidentschaft werde seit Jahren von einer "Bande" dirigiert, der Gaïd Salah vorwarf, die jüngsten schriftlichen Stellungnahmen des Präsidenten redigiert zu haben.

Der in der Vergangenheit eng mit Bouteflikas Fraktion im Machtapparat verbündete Gaïd Salah wechselte damit endgültig die Seiten und versucht sich für die bevorstehende Übergangsphase zu positionieren.

Noch am Dienstag strahlten algerische TV-Kanäle Aufnahmen einer Zusammenkunft Bouteflikas mit dem Präsidenten des Verfassungsrates, Tayeb Belaïz, und dem Präsidenten des Oberhauses des algerischen Parlaments, Abdelkader Bensalah, aus. Der Verfassungsrat ist – wie in Artikel 102 der Verfassung festgelegt – diejenige Institution, die im Falle eines Rücktritts des Präsidenten die interimsmäßige Übernahme von dessen Posten durch den Präsidenten des Oberhauses initiieren kann.

Damit wird die Ernennung von Bensalah als Übergangspräsident immer wahrscheinlicher. Dieser müsste innerhalb der kommenden Monate Präsidentschaftswahlen organisieren. Jedoch bleibt unklar, ob die Armeeführung sich nicht abermals einmischen und versuchen wird, einen anderen Kandidaten mit der Transition zu betrauen.

Flügelkämpfe um die Macht

Bensalahs Partei, das noch bis Mitte März an der Regierung beteiligte RND (Rassemblement National Démocratique) von Expremier Ahmed Ouyahia, zeigte sich indes "zufrieden" über diese von der Armee unterstützte "Lösung der Krise". Obwohl die Partei in heftigen internen Flügelkämpfen versinkt, hofft sie offenbar darauf, aus Bouteflikas Fall politisches Kapital zu schlagen.

Nachdem bereits am Wochenende gerichtliche Untersuchungen gegen zwölf mit Bouteflika verbündete Oligarchen eingeleitet wurden, berichtete das gutinformierte algerische Nachrichtenportal Inter Lignesvon unmittelbar bevorstehenden Verhaftungen mehrerer Familienmitglieder Bouteflikas. Die "Entbouteflikanisierung" des Systems – so die algerische Internetzeitung TSA Algérie – nimmt damit Fahrt auf.

Gaïd Salahs Verbalattacke gegen Bouteflikas Seilschaften und das juristische Vorgehen gegen sie zeigt derweil, wie heftig sich regimenahe Kräfte derzeit neu positionieren. Algerien steuert offenbar auf einen neuen Zweikampf zu; diesmal zwischen Gaïd Salah und dem hinter verschlossenen Türen intrigierenden Exgeheimdienstchef Mohamed "Tewfik" Mediène. Ob sich Algeriens Protestbewegung jedoch so einfach von diesem regimeinternen Kräftemessen einschüchtern lassen wird, bleibt zu bezweifeln. Für Freitag wird mit abermaligen Massenprotesten gegen das "System" gerechnet. (Sofian Philip Naceur, 4.4.2019)