Eine "Entmystifizierung des sexuellen Objekts"? Die ist eher nicht den Feministinnen anzuhängen.

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"Feministinnen schauen sich Mösen viel zu genau an, und darunter leidet die erotische Vorstellungskraft der Männer." Wenn man Slavoj Žižeks Beitrag für eine Schweizer Zeitung auf diesen Satz eindampft, dann ist Kritik sehr naheliegend.

Aber einen Philosophen von seinem Schlag zu kritisieren ist nicht einfach. Das liegt nicht zuletzt an seiner berufsbedingten Vorliebe für Metaebenen, Referenzen und ideengeschichtliche Begriffe. Žižek ist beispielswiese ein ausgewiesener Experte für den Psychoanalytiker Jacques Lacan. Wenn er in seinem Text bestimmte Fragestellungen mit Verweis auf Lacan beantwortet, dann muss sich Kritik an den Thesen Žižeks auch immer an dem Grad des Verständnisses für die Theorien von Lacan messen lassen. Das schafft einen Nimbus der Unangreifbarkeit, durch den Kritik mit einem Verweis darauf, dieses oder jenes offenbar nicht gelesen oder nicht verstanden zu haben, jederzeit abgeschmettert werden kann.

Nun hat Slavoj Žižek aber keinen 300 Seiten starken philosophischen Essay über die Modifikationen der erotischen Natur der letzten 100 Jahre veröffentlicht, sondern einen kurzen Feuilletonbeitrag für die "NZZ", der vor intellektueller Faulheit nur so strotzt. Und damit sollte man ihn einfach nicht davonkommen lassen – auch und gerade als Mann nicht. Kluge Frauen wie Margarete Stokowski haben zwar schon darauf hingewiesen, dass Žižek hier offenbar hauptsächlich die Kränkung darüber auswalzt, dass ihm eine Erektion – und sei sie auch nur gedanklich – angesichts einer feministisch erkundeten Vulva schwerzufallen scheint.

Altherrenansprüche an Vulven

Was aber noch aussteht, ist eine männliche Perspektive auf die unreife Vorstellung, die "Entmystifizierung des sexuellen Objekts" stünde der Erotik im Weg. Und damit meine ich nicht nur Solidarität mit all den Frauen, die kein Interesse für Žižeks Altherrenansprüche an ihren Vulven aufbringen. Ich meine ganz ausdrücklich die Enttäuschung und die Wut von Männern darüber, dass ein Intellektueller wieder einmal sein Publikum mit ranzigen Klischees über die angebliche Eindimensionalität männlicher Sexualität unterhält.

Was ist los mit dem Mann? Wieso hält ausgerechnet ein ausgebildeter Philosoph die Mehrdeutigkeiten von Körperteilen nicht aus? Diese Peinlichkeit lässt sich auch nicht mit Wortkonstruktionen wie "repressive Entsublimierung" bemänteln. Žižek liefert einfach nur den nächsten faden Aufguss des "Feminismus tötet die Erotik"-Märchens, das insbesondere jungen Frauen gerne als Spukgeschichte erzählt wird. Als Warnung: Jetzt stell dich nicht so an, du willst doch schließlich begehrt werden.

Das ist nicht nur in seiner zugrundeliegenden Anspruchshaltung, sondern auch in seiner Totalität für einen siebzigjährigen Mann erschütternd naiv. Nach Žižeks Logik dürften heterosexuelle Gynäkologen überhaupt kein Interesse an Sex mit Frauen haben, weil sie jeden Tag weibliche Geschlechtsorgane entsublimieren und einfach ihren Job machen. Darüber hinaus liefert er mit seinen Ausführungen die Blaupause für den Mann, der seine Frau verlässt, weil er mit ihrer Vulva genug Erfahrungen gesammelt hat und findet, dass es mal wieder Zeit für eine neue wäre. So sind wir Männer: Vom Mysterium Vulva und Vagina bleibt mit jedem Blick, jedem Kontakt immer weniger bestehen. An seine Stelle tritt das gruselige Wissen darüber, dass das weibliche Geschlecht ja in Wahrheit auch ein wulstiges Ausscheidungsorgan ist. Und die Vertreibung aus dem ahnungslosen Pussyparadies erfolgt durch die verstärkte feministische Beschäftigung mit dem Thema natürlich viel schneller. Das senkt die Mösenhalbwertszeit. Klar, dass Mann da traurig ist.

Nicht verkraftbare Detailanschauung

Also der Mann, der nicht in der Lage ist zu erkennen, dass Erotik sich nicht im Reiz des unbekannten Geschlechtsorgans erschöpft. Der Mann, dessen Männlichkeit so fragil ist, dass sie Detailanschauung und -wissen des begehrten Geschlechts in anderen Kontexten nicht ertragen kann. Obwohl ja gerade dieses Wissen in den letzten Jahrzehnten dazu geführt hat, dass wir uns von der unerfreulichen Vorstellung von Lacans Übervater Sigmund Freud lösen konnten, ein reifer Orgasmus der Frau sei nur durch das Eindringen des Penis in die Vagina möglich. Apropos Lacan: Žižeks Held kaufte 1955 ein Gemälde von Gustave Courbet. Es heißt "Der Ursprung der Welt" und zeigt die behaarte Vulva einer Frau.

Und ein Comic der schwedischen Künstlerin Liv Strömquist zur Kulturgeschichte der Vulva, den Žižek als zu feministisch entmystifizierend kritisiert hat, trägt in der deutschen Übersetzung denselben Titel.

Vielleicht wäre es in diesem Sinne nicht nur an der Zeit, dass Slavoj Žižek mit seinen pubertären Muschifantasien in der Realität des erwachsenen Begehrens ankommt, in der Mann der Möglichkeit zur Sublimierung nicht wegen zu viel feministischen Vulvawissens beraubt wird, sondern Sublimierung je nach Situation rauf und runter regelbar ist. Vielleicht ist es auch an der Zeit, dass Männer im Widerspruch zu derlei Thesen ihre Sexualität als etwas behaupten, das mehr ist als ein in immer gleicher Weise triebfixiertes Abziehbild. (Nils Pickert, 7.4.2019)