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"Der Streit um die Frage, ob jemand seinen Verpflichtungen nachkommt, ist so alt wie das Bündnis selber", sagt der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark.

Foto: Reuters/Jackson

Wesley Clark war von 1997 bis 2000, unter anderem während des Kosovo-Kriegs, Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte. Unser Korrespondent Frank Herrmann hat am Rande einer Tagung zum 70. Jubiläum der Nato in Washington mit dem Viersternegeneral gesprochen.

STANDARD: Der amerikanische Vizepräsident Mike Pence hat Deutschland gerade die Leviten gelesen. Indem es sich weigere, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, sei es der Anführer der Säumigen, hat er gesagt. Sind die Deutschen die bösen Buben der Nato?

Clark: Pence versucht die Deutschen dazu zu bringen, mehr für ihre Verteidigung zu tun. Nur hat Deutschland natürlich seine eigenen Interessen. Und sollte es tatsächlich zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben, würde das nur Probleme innerhalb der Europäischen Union schaffen, weil die deutsche Wirtschaftsleistung viel größer ist als die anderer Länder. So haben es mir europäische Politiker zu verstehen gegeben. Vielleicht stimmt das sogar.

STANDARD: Ist der Ton, wie ihn die Regierung Donald Trumps anschlägt, nicht ungewöhnlich hart für den Umgang mit Alliierten?

Clark: Solche Diskussionen gibt es nun mal zwischen Verbündeten, so neu ist das nicht. Aber Verbündete müssen einander verstehen, einander schätzen. Demokratische Gesellschaften durchlaufen bekanntlich Zyklen. Bei uns gab es mit der Wahl 2016 einen Wechsel der politischen Führung, und wir müssen akzeptieren, dass Deutschland sein eigenes demokratisches System hat. Es muss für sich selbst klären, was es für notwendig hält. Wenn man eine Allianz managt, wie es Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit Augenmaß tut, muss man genügend Toleranz für die Tatsache aufbringen, dass es die Mitgliedsstaaten mit schwierigen innenpolitischen Fragen zu tun haben und dennoch ihren Beitrag für diese Allianz leisten.

STANDARD: Winken Sie manchmal ermüdet ab, wenn Sie hören, wie deutsche Politiker begründen, warum sie das Zweiprozentziel der Nato bis 2024 nicht erfüllen können? Ähnliche Debatten hat es ja sicher auch zu Ihrer aktiven Zeit schon gegeben.

Clark: Ich habe 1978 bei der Nato angefangen, als Assistent bei Alexander Haig, dem damaligen Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Pakts. Ich kann Ihnen versichern, der Streit um die Frage, ob jemand seinen Verpflichtungen nachkommt, ist so alt wie das Bündnis selber. Und es war schon immer ein Drängen und Schieben, ein Hin und Her.

STANDARD: Haben Sie Verständnis für die deutsche Haltung?

Clark: Man muss sehen, dass das Finanzministerium im deutschen politischen System wirklich Gewicht hat, mehr als das Verteidigungsressort. Oft sagt dann der Finanzminister, seht her, ihr könnt von mir verlangen, was ihr wollt, das Geld dafür ist nicht da, also bekommt ihr es nicht. Ich habe das in Europa immer wieder erlebt, nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern. In den USA dagegen ist der Verteidigungsminister stärker als der Finanzminister. Nationale Sicherheit ist ein großes Thema in unserem Land. Wenn du bei uns die Karte der nationalen Sicherheit spielst, bekommst du Aufmerksamkeit. Spielst du die Karte in Deutschland, wird man schnell sagen, oh, sorgt aber bitte dafür, dass ihr niemanden provoziert und keinen Streit vom Zaun brecht. Das Gute an Bündnissen zwischen Demokratien ist, dass eine Entscheidung, wenn sie erst steht, sehr belastbar ist. Nur dauert es eben sehr lange, bis sie getroffen wird. Und bis dahin geht es auf und ab.

STANDARD: Befinden wir uns also momentan in einer Art Talsohle?

Clark: Wissen Sie, ich vergleiche die Nato gern mit einer Wurstmaschine. Sie stecken alle möglichen Zutaten hinein, dann dauert es sechs Stunden, sechs Monate oder auch sechs Jahre, bis die Wurst gefüllt ist. Anders gesagt, bis ein politischer Kurs vereinbart ist, an den sich alle halten. Ärgert euch also nicht über die Maschine. Der Motor läuft und macht Geräusche. Am Ende wird es funktionieren.

STANDARD: Finden Sie es richtig, dass Präsident Trump, der ja als Kandidat die Nato an sich infrage stellte, einen solchen Druck auf Deutschland ausübt?

Clark: Ich würde es wahrscheinlich anders angehen. Aber beurteilen wir die Sache doch nach dem Ergebnis. Warten wir ab, wie es in ein paar Jahren aussieht. (Frank Herrmann aus Washington, 4.4.2019)