Die Zahlen waren ein Triumph für Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini: In den ersten zwei Monaten des Jahres ist die Zahl der abgeschobenen Migranten in Italien "zum ersten Mal seit Menschengedenken" höher gelegen als jene der neu angekommenen Flüchtlinge, und das gleich um das Dreifache, betonte Salvini. Tatsächlich sind im Januar und Februar 2019 in Italien nur noch 335 Migranten gelandet; gleichzeitig wurden 1.354 Migranten, deren Asylgesuch abgelehnt worden war, in ihre Herkunftsländer abgeschoben.

Die Entwicklung setzte sich laut provisorischen Zahlen im März fort. In den ersten beiden Monaten des Vorjahres waren noch 5.945 Flüchtlingen in Italien angekommen. "Die Zahlen belegen, dass wir von den Worten zu den Taten geschritten sind", zitierte Salvini einen Wahlslogan.

Das stimmt freilich bloß für die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge: Mit der Schließung der italienischen Häfen für private Rettungsschiffe hat die populistische Regierung aus der Protestbewegung Cinque Stelle und der rechtsradikalen Lega den Zustrom der Bootsflüchtlinge praktisch zum Erliegen gebracht.

Zahl der Abschiebungen unverändert

Bei den Abschiebungen ist Salvini dagegen hinter den Wahlversprechen zurückgeblieben: Im Durchschnitt liegt die Zahl der Rückführungen auch unter der neuen Regierung bei 19 Personen pro Tag – genau so viele waren es auch unter der Mitte-links-Regierung von Paolo Gentiloni gewesen. Bei diesem Rhythmus würde es etwa 80 Jahre dauern, bis alle "Illegalen" aus Italien abgeschoben wären.

Paradoxerweise ist das Heer der Immigranten ohne gültige Aufenthaltspapiere – also Personen, die laut Salvini eigentlich ausgewiesen werden müssten – seit der Vereidigung der neuen Regierung im Juni des Vorjahres trotz des drastischen Rückgangs der neu ankommenden Bootsflüchtlinge noch um 44.000 Personen angestiegen, wie der auf internationale Fragen spezialisierte Mailänder Thinktank Ispi unlängst festhielt.

Der Grund dafür ist das von Innenminister Salvini durchgesetzte "Sicherheitsdekret", das eine massive Verschärfung der Ausländerpolitik und eine faktische Abschaffung der humanitären Aufnahme zur Folge hatte. Bei Amtsantritt der Regierung genossen rund 120.000 Migranten humanitären Schutz, der nach zwei Jahren jeweils neu beantragt werden muss. Diese Anträge werden nun beinahe ausnahmslos abgelehnt.

Die wenigsten "Illegalen" können zurückkehren

Doch die allerwenigsten der Migranten, die ihren Aufenthaltsstatus so verloren haben und noch verlieren werden, können in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Sie vergrößern somit lediglich das Heer der rund 600.000 rechtlosen Clandestini, wie die Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung in Italien genannt werden.

Für die Betroffenen hat dies dramatische Folgen: "Sie werden nicht bloß in die Illegalität gedrängt, sondern sie verlieren auch ihren Platz in den Integrationseinrichtungen: in Asylunterkünften, in Sprachkursen oder in anderen Unterstützungsangeboten", betont Alberto Polito, der in Reggio Calabria ein Zentrum für die psychologische Betreuung von Flüchtlingen aufgebaut hat. "Zehntausende sind bereits auf der Straße gelandet, weitere Zehntausende werden ihnen noch auf diesem Weg folgen."

Freiwillige Ausreise scheitert

Besonders absurd: Selbst wenn ein Flüchtling bereit wäre, freiwillig in sein Herkunftsland zurückzukehren, scheitert die Ausweisung nicht selten. "Die Zentren für freiwillige Ausreisewillige sind blockiert, weil sie aus Rom Geld erhalten", betont Polito, der in diesen Monaten selbst einen solchen Fall erlebt hat.

Einer seiner Patienten, ein Nigerianer mit massiven psychischen Problemen, befinde sich nach wie vor in Italien, weil die Behörden für die Kosten der Rückkehr nicht aufkommen konnten oder wollten. "Wir haben zusammen mit einem sozialen Verein Geld für die Rückreise gesammelt, und ich wäre auch bereit gewesen, ihn auf seiner Heimreise zu begleiten – alles auf unsere Kosten. Aber uns wurde gesagt, so einfach gehe das nicht."

Umverteilung auf größere Zentren

Eine weitere Folge des "Sicherheitsdekrets": Tausende kleine Wohneinheiten für Flüchtlinge wurden geschlossen und die Bewohner in große Zentren verteilt. "Dabei wird in Kauf genommen, dass Familien auseinandergerissen werden", betont Polito. Für die Schließung der kleinen Zentren gilt dasselbe wie für die Abschaffung der humanitären Aufnahme: Die Betroffenen bleiben im Land, es wird kein einziges Problem gelöst.

Im Gegenteil: Wegen des Arbeitsverbots haben die neuen Clandestini im Grunde nur zwei Möglichkeiten, um zu überleben: Entweder sie arbeiten schwarz, zum Beispiel als moderne Sklaven auf den Plantagen Süditaliens, oder sie werden kriminell. Und damit werden sie unfreiwillig zu Wahlkampfhelfern Salvinis, der Migration systematisch mit Kriminalität gleichsetzt. (Dominik Straub aus Rom, 5.4.2019)