"Ich verwende koreanische Notizbücher. Da kaufe ich zwanzig Stück auf einmal. Eines reicht für drei Wochen. Ich bin zurzeit bei Nr. 326. Die kommen ins Literaturarchiv ..." Schriftsteller Max Goldt

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Goldt: "Und ein tolles Bild ist hier auch noch. So ein würdevolles. Irgendwie cool vernebelt. Muss der STANDARD drucken."

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Seit gut 30 Jahren bereist Max Goldt unermüdlich die Lesebühnen im deutschen Sprachraum. Kommende Woche ist er im Wiener Wuk zu Gast. Der Kleist-Preisträger 2008 ist ein Präzisionsarbeiter der Sprache, der den Sprachgebrauch der Gegenwart aufmerksam verfolgt und analysiert. Der Journalismus kam bei dieser Analyse oft nicht sehr gut weg. Ein Gespräch über komische Einladungen vom Deutschen Literaturarchiv Marbach, das Comicduo Katz & Goldt, die Zuneigung zu David Bowie und darüber, ob man "spannend" sagen sollte oder nicht.

STANDARD: "Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zulässt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun." Diese Sätze, die Sie 2001 über die "Bild"-Zeitung schrieben, sind inzwischen zu einem populären Internet-Meme geworden. Verschafft Ihnen das Genugtuung?

Max Goldt: Das ist ein sehr sauber geschriebener Satz, an dem ich kein Jota ändern möchte. Allerdings ist er das Einzige, was ich je über diese Publikation geäußert habe. Es könnte mich irritieren, wenn geglaubt würde, ich beschäftigte mich geistig mit solcherlei Kram. Ich halte es da wie Nancy Pelosi, die neulich sagte, Trump sei es nicht wert, des Amtes enthoben zu werden. Ich habe Nancy Pelosi mindestens sieben Minuten lang geliebt.

STANDARD: Sie üben immer wieder Journalismus- und Sprachkritik – sind Sie ein Mahner und Bewahrer? Würden Sie sich als konservativ bezeichnen?

Goldt: Ich bin nicht sehr sprachkonservativ, allerdings für die Bewahrung der Ausdrucksfähigkeit und des kulturellen Reichtums. Wegen des schlechten Images von Sprachkritik habe ich meine entsprechenden Texte immer lieber als Spracherörterungen bezeichnet. "Mäkelei", etwa über Gender-Sternchen oder "Deppen-Apostrophe", werden Sie bei mir nicht finden. Ich habe übrigens gar nicht so viele Sprachkritiken geschrieben. Die würden gesammelt kaum ein Reclam-Heftchen füllen.

STANDARD: Unter Journalisten erfreut sich das Wort "spannend" enormer Beliebtheit. Ist das in Ordnung, oder sollten sie davon Abstand nehmen?

Goldt: Noch schlimmer als "spannend" ist "faszinierend". Es gibt überall nur noch Faszination. Die Verwendung dieses armseligen umgangssprachlichen Wortschatzes gilt unter Medienleuten sowohl in Österreich als in Deutschland als "bodenständig". Auch ein ganz schlimmes Wort. Wir sollten uns durchaus bisweilen wieder in die Höhe wagen.

STANDARD: Sie haben sich selbst immer wieder gegen die übermäßige falsche Verwendung des Wortes "absurd" ausgesprochen. Ist das Wort "grotesk" ebenso von diesem Missbrauch betroffen?

Goldt: Das Absurde in der Kunst ist willentlich eingesetzte Sinnwidrigkeit. Das Groteske ist das Fratzenhafte, das Grelle und nach bürgerlichem Verständnis Abscheuliche. Beide Begriffe werden zu leichtfertig eingesetzt, insbesondere wenn es lediglich darum ginge, das Fantasievolle zu benennen.

STANDARD: Ich frage deshalb, weil auf dem Schutzumschlag von Clemens Setz' neuem Buch "Der Trost runder Dinge" in großen roten Versalien die keineswegs dem Inhalt entsprechenden Worte "Über das Absurde und Groteske des menschlichen Zusammenlebens" prangen. Wie vermeidet man als Autor solche irreführenden sogenannten "Blurbs"?

Goldt: Das erfordert enorme Kraft. Man müsste sich mit allen Verlagsmitarbeiterinnen zerzanken. Die Damen und manchmal auch Herren, die diesen Trash zusammenbasteln, kennen ja nichts als Phrasen und haben nicht das geringste Verständnis für jemanden, der sich dagegen wehrt. Und sich dagegen zu wehren ist wirklich schwer, weil man mit den Leuten, die privat sehr umgänglich sein können, bereits einmal auf einer Verlagsparty nett geplaudert hat.

STANDARD: Schriftstellerbiografien in Klappentexten werden gern mit mehreren Wohnsitzen ("lebt in Berlin, Bangkok und in einem winzigen toskanischen Bergdorf") ausgeschmückt. Wenn Sie sich zwei Wohnsitze neben Berlin aussuchen dürften, welche wären das?

Goldt: Edinburgh, Stockholm, Aix-en-Provence, Ferrara. Aber für diese widerwärtige Fliegerei müsste ich mir Tavor verschreiben lassen. Und das verschreibt einem heute keiner mehr. Ich habe übrigens keine Flugangst, sondern Engeangst. Und in Flugzeugen ist es mir zu eng, vor allem beim Einsteigen. Wenn man in Reihe 15 sitzt, hinter einem drängen ganz viele Leute auf einen zu, und plötzlich fällt einem ein, dass man eigentlich wieder rausmöchte. Nach Wien werde ich mit der Bahn fahren.

STANDARD: In einem Interview 2004 sagten Sie in Bezug auf Ihre Lesungen: "Österreich läuft, Wien vorsichtig ausgenommen, überhaupt nicht." Warum ist das so?

Goldt: Es ist schon seltsam, dass ich in kultivierten Städten wie Salzburg oder Graz niemals Fuß fassen konnte und dort immer nur Misserfolge feiern musste. Es liegt wohl an einer Abneigung gegen alles Deutsche. Wahrscheinlich jedoch nur an einer Abneigung der Medien gegen alles Deutsche. Die Österreicher an sich sind doch ziemlich willkommenswillig. Wenn man als Deutscher in ein österreichisches Hotel kommt, streicht einem die Patronin erst einmal lind übers Haar und fragt, ob man einen marillenpotschahierten Powidlpawadakschen haben möchte. Nun, das wissen Sie ja nicht als Eingeborener.

STANDARD: In Österreich wird stets betont, wie sehr sich der hiesige Humor vom deutschen unterscheide und wie deutlich er diesem überlegen sei. Manche Österreicher sprechen den Deutschen sogar jeglichen Humor ab. Wie groß ist der Unterschied wirklich?

Goldt: Die Beantwortung dieser oft gestellten Frage scheitert stets an mangelnder Begriffstrennung. "Humor", "Komik", "Witz" – das sind Begriffe, die man trennen sollte. Unter Humor versteht man in einem engen Sinn eine bestimmte Gemütsverfassung, eine bestenfalls geistreiche Bereitschaft zur Gelassenheit. In der Umgangssprache wird unter Humor alles Mögliche verstanden, schlimmstenfalls eine Bereitschaft zu lachen, wenn jemand memorierte Witze aus Witzbüchern erzählt. Das hat aber allenfalls etwas mit Konventionen zu tun. Keinesfalls gibt es nationale oder auch regionale Humore. Humor ist immer etwas Individuelles. Ich sehe oft 3sat, also österreichische Sendungen. Ich sehe da nichts, was die Auffassung rechtfertigen könnte, das eine Land sei dem anderen in irgendeiner Weise nicht ebenbürtig.

STANDARD: Ist es gerechtfertigt, dass deutscher Humor immer zu seinen Ungunsten mit britischem verglichen wird? Warum eigentlich nie mit niederländischem, griechischem oder polnischem?

Goldt: Das liegt an den Sprachkenntnissen. Wir verstehen halt kein Polnisch oder Niederländisch. Allerdings besteht im Angelsächsischen eine Tradition, Komik und Witz auch im Bereich der Kunst zu erdulden. Entertainment und Kultur stehen sich da nicht so feindlich gegenüber. Eine große Künstlerin beispielsweise ist Tracy Ullman. Großartig ist deren Darstellung von Angela Merkel, die eben keine Parodie ist, sondern sie erfindet eine Figur, die zwar aussieht wie Angela Merkel, sich aber vollkommen anders verhält, indem sie mannshungrig und eitel ist. So etwas könnte sich auch im deutschsprachigen Raum jemand ausdenken, aber kein Sender würde das bringen.

STANDARD: In den Comics von Katz & Goldt wird die Kunst des Abschweifens gepflegt, indem Verbindungen zwischen Dingen hergestellt werden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Welches Potenzial an Komik wohnt dem Unerwarteten inne?

Goldt: Ich bin kein Freund des Abschweifens, aber ich schätze die Offenheit. Dass sich alles in alle möglichen Richtungen entwickeln kann und sich am Ende doch zu einem klaren, wahren und möglicherweise eleganten Bild zusammenfügt.

STANDARD: Was kann ein Comic, das ein Text nicht kann?

Goldt: Im Comic gibt es bezaubernde kleine Männchen und Frauchen. In der Prosa muss man sich die bezaubernden Männchen dazudenken.

STANDARD: Gab es jemals die Überlegung, wiederkehrende Charaktere einzusetzen, wie es andere Comiczeichner tun?

Goldt: Wir hatten schon öfter wiederkehrende Figuren. "Agathe, die technoaffine Schwulen-Hag" zum Beispiel. Irgendwann sterben die jedoch. Gestern habe ich mir eine Figur ausgedacht, welche hieß "Schrankseifenmeister im Haus der Sang- und Klanglosen". Diese Figur könnte auch öfter vorkommen.

STANDARD: Auch ohne wiederkehrende Charaktere sind Katz-&-Goldt-Figuren unverwechselbar. Passiert es Ihnen, dass Sie im realen Leben jemanden sehen und denken: "Der sieht aus wie von Katz gezeichnet."

Goldt: Ja, oft. Junge Männer mit ihren sich niedlich anhäufenden Harren, die leider alle verschwinden, wenn sie 30 sind. Es sei denn, das Gewuschel bäumt sich mit 50 noch mal auf wie bei Roland Koberg, dem Dramaturgen.

STANDARD: Ist eine Katz-&-Goldt-Graphic-Novel vorstellbar? Oder bleiben Sie bei der "kleinen Form"?

Goldt: Weder Herr Katz noch ich schätzen die Graphic Novel. Ich finde es bedauerlich, dass diese biedere und handwerkliche Abweichung der Comic-Kunst als deren höchste Ausprägung betrachtet wird, nur weil sie leicht nacherzählbare Inhalte hat. Was mich am Comic am meisten interessiert, das Wilde und Unerwartbare sowie der Witz im Dialog, kommt in Graphic Novels nicht vor.

STANDARD: Können Sie mit dem Begriff "Popliteratur" etwas anfangen?

Goldt: Das war um 2000 ein Modebegriff. Kiepenheuer & Witsch hat einmal einen Popliteratur-Reader herausgebracht, und die einzigen Autoren, die eine Verwendung ihrer Texte abgelehnt hatten, waren Christian Kracht und ich. Ich fühle mich der Popkultur nicht zugehörig.

STANDARD: Hat die Sozialisierung durch Pop und Popsongs Ihr Schreiben beeinflusst?

Goldt: Ich bin Gott sei Dank nicht nur mit Pop, sondern mit allem möglichen sozialisiert worden. Angenehmerweise hatte ich mit 20 ein Radio, mit dem ich den Rundfunk der DDR empfangen konnte. Da gab es Pierrot Lunaire von Schönberg und Le Marteau sans maître von Boulez. Und dann gab es in Westberlin damals diese krachige Szene um Frieder Butzmann und Blixa Bargeld, das war anregend, für eine Weile. Afrikanische Musik gab's auf Schallplatten, und und und.

STANDARD: Sie gründeten 1981 die Band Foyer des Arts. Deren letztes Album erschien 1995, eine LP als Duo Nuuk kam 1998 heraus. Haben Sie mit der Musik abgeschlossen?

Goldt: Nicht ganz. Ich bereite eine Werkschau-CD-Box mit unveröffentlichten Aufnahmen vor, aber es ist schwierig, einen physischen Tonträger unterzubringen von einem Künstler, der kommerziell nie sehr erfolgreich war.

STANDARD: Sie sind 1977 nach Berlin gezogen, also fast gleichzeitig mit David Bowie. War Bowie damals eine Motivation für Ihren Ortswechsel?

Goldt: Ich hatte damals zu wenig Geld und zu wenig Mut, nach London oder New York zu ziehen. Deswegen Berlin. David Bowie war damals kaum präsent in Berlin. Er war wohl nur selten dort. Es ist ja tatsächlich nur ein einziges seiner "Berlin Trilogy"-Alben in Berlin aufgenommen worden.

STANDARD: War Bowie so etwas wie ein Begleiter für Sie?

Goldt: Ein musikalischer Begleiter. Ich habe mir ab 1973 jedes seiner Alben am Erscheinungstag gekauft. Ich habe durch ihn die Bedeutung von Melodie und Harmonie gelernt, auch die des Produktions-Sounds, aber seine Haare waren mir nicht so wichtig. Ich mochte allerdings seine Armreifen auf dem Cover von Young Americans und hatte eine Zeitlang auch solche Armreifen.

STANDARD: Wie haben Sie seinen Tod aufgenommen?

Goldt: Mit allmählich anschwellender Trauer und einer gleichzeitigen Unlust, seine Musik zu hören. Es wäre jedoch leichtfertig, zu sagen, sein Tod wäre wie der eines Familienmitgliedes oder engen Freundes gewesen. Nach dem Tod eines nahen Menschen sieht man den Betreffenden ja immer in bestimmten Räumen oder Gärten, schlägt sich die Hand vors Gesicht und denkt: "Oh, da hab ich immer mit ihm gesessen, und nun sticht mich der Schmerz, dass es nie wieder sein wird." Das war bei Bowie nicht so. Ich träume allerdings von ihm, neulich in Gestalt von Meryl Streep. Er sah aus wie sie, war aber wie Bowie. Auch als Mr. Burns, dem Atomkraftwerksbesitzer in den Simpsons, trat er schon auf. Er sieht ihm ja auch etwas ähnlich.

STANDARD: Wo wir schon bei der Musik sind, die klassische Frage: Beatles oder Stones?

Goldt: David Bowie, T. Rex, Roxy Music, Barry White, Kate Bush, Sparks, alles Mögliche, aber nicht Beatles oder Stones.

STANDARD: Blur oder Oasis?

Goldt: Es gab zur Blur-Oasis-Zeit eine Band namens The Boo Radleys. Die habe ich extrem geliebt! Ein Stück namens Does this hurt? habe ich sehr oft gehört, und jetzt, wo ich es erwähne, möchte ich es glatt noch einmal hören.

STANDARD:: Agnetha oder Anni-Frid?

Goldt: Beide sind bedeutend. Agnethas Performance in The day before you came ist atemberaubend. Es gibt ein Video auf ZDF-Kultnacht oder so, in dem sich Anni-Frid auf einem weißen Klavier rekelt, während sich Agnetha im Vordergrund in einem roten Strickkleid die allerbeste Mühe gibt. Das ist exzellent.

STANDARD: Angela Merkel oder Annegret Kramp-Karrenbauer?

Goldt: Ich hätte momentan lieber einen Mann. Ich habe heute im ICE ungefähr drei Stunden lang Anton Hofreiter von den Grünen beim Telefonieren zugehört. Er hat eine angenehme Stimme, und mir war, als würde ich ein interessantes Hörspiel erleben. Was der alles gesagt hat! Dass der oder der niederländische Spitzenpolitiker ein Schaumschläger sei, der mit drei Delegationsmitgliedern so spräche, als spräche er zu 500 Leuten. Als er zur Toilette ging, habe ich gesehen, dass er zwei Meter groß ist. Ein absoluter Kohl! Der wäre ein drolliger Bundeskanzler.

STANDARD: "The Wire" oder "Sopranos"?

Goldt: Ich habe Feud gesehen, die Serie über die Streitigkeiten zwischen Bette Davis und Joan Crawford. Allerbeste Ausstattung!

STANDARD: Berlin-Mitte oder Berlin-West?

Goldt: Wir Menschen aus dem Westen Berlins äußern uns nicht über Berlin-Mitte. Wir haben ältere Rechte und mehr Stil.

STANDARD: Fensterplatz oder Gangplatz?

Goldt: Wir Menschen aus dem Westen Berlins sitzen außerordentlich ungern in der Mitte. Und ich kann das sowieso nicht. Ich bin ein "Claustro".

STANDARD: Kleines Bier oder großes Bier?

Goldt: Mehrere Flaschen Wein, die auf dem Tisch stehen, und jeder gießt sich bei Bedarf etwas ein. Bin aber auch in jüngster Zeit ein großer Craft-Beer-Freund geworden.

STANDARD: Moleskine oder No-Name-Notizbuch?

Goldt: Ich verwende koreanische Notizbücher. Da kaufe ich immer gleich zwanzig Stück. Eines reicht für drei Wochen. Ich bin zurzeit bei Nr. 326. Die kommen bestimmt ins Literaturarchiv nach Marbach. Hab da schon wieder so eine komische Einladung bekommen.

STANDARD: Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek?

Goldt: Das waren beziehungsweise sind doch eher bescheidene Talente. Aber Charismatiker. Und sehr fleißig natürlich. Ein Problem ist, dass Journalisten mit Charismatikern mehr anfangen können als mit den eigengeistigen Talenten.

STANDARD: Und mit welchem Schriftsteller würden Sie lieber eine Wanderung machen: W. G. Sebald oder Peter Handke?

Goldt: Mit Peter Handke würde ich gern spazieren gehen. Der Mann ist geistig wunderbar spitz. Außerdem kenne ich seine Tochter von früher. Aber zum Wandern sind meine Füße leider zu schlecht. (Maik Nowotny, 7.4.2019)