Illustration aus: Benjamin Swiczinsky, "Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft"
Illustration aus: Benjamin Swiczinsky, "Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft"

Karl Schwanzer durch die Linse des Wiener Fotografen Stefan Oláh: 20er Haus in Wien.

Fotos: Stefan Olah
Fotos: Stefan Olah

Wifi Wirtschaftsförderungsinstitut in St. Pölten.

Fotos: Stefan Olah
Fotos: Stefan Olah

BMW-Vierzylinder in München.

Fotos: Stefan Olah

Seilergasse 16. Am Straßenrand parkt ein roter VW Bulli, die Gewista wirbt gerade mit Bruno Kreisky, im Hintergrund ist noch das alte Haas-Haus, Baujahr 1951, zu sehen. Drei Bilder später steht man bereits in seinem Büro mit grünen Wänden, orangem Teppichboden und Blick auf den Stephansdom. Der Architekt sitzt im Drehstuhl und lässt sich von der Sekretärin zu seiner Gattin durchstellen. "Hilde, ich werd' am Wochenende ins Büro müssen. Es ist einfach so viel zu tun." Und dann wird der Telefonhörer aufgelegt. "Clic!"

Vielreisender, Workaholic, leidenschaftlicher Visionär: Karl Schwanzer, der Herr mit Anzug, Krawatte und gegeltem Seitenscheitel, zählt ohne jeden Zweifel zu den wichtigsten und innovativsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Unter den 300 realisierten Projekten finden sich so weltberühmte, teils unter Denkmalschutz gestellte Ikonen wie das Philips-Haus an der Triester Straße, das 20er Haus im Schweizergarten, der Ziegelzubau zur Universität für angewandte Kunst, die österreichische Botschaft in Brasília sowie der markante Vierzylinder-Turm der BMW-Zentrale in München, dessen kreisrunde Büroetagen auf Zugseilen von oben herabhängen. Allem hochwertigen Schaffen zum Trotz ist der Name Schwanzers außerhalb der Architektur- und Kulturszene jedoch nur wenigen geläufig.

600 Illustrationen

Das dürfte sich nun ändern. Der Wiener Trickfilmer und Illustrator Benjamin Swiczinsky verewigte den Umtriebigen, der seine Disziplin stets als Gesamtkunstwerk betrachtete und sogar Sessel, Barhocker und Türklinken entwarf, in einer Graphic Novel mit 600 Illustrationen. "Wir haben gründlich recherchiert und weltweit gerade mal drei Comics über Architekten gefunden, und zwar über Alvar Aalto, Le Corbusier und Adolf Loos", sagt der 36-jährige Zeichner. "Hinzu kommen Rem Koolhaas und Frank O. Gehry, die mal einen Gastauftritt bei den Simpsons hatten. Das war's."

Ziel dieses so lebhaften wie anekdotenreichen Comicbuchs, das nicht nur durch Schwanzers Berufsleben führt und seine Bauten und Projekte vorstellt, sondern auch Einblick in die einmal manische, einmal depressive Privatperson gewährt, ist die unmittelbare, niederschwellige Begegnung mit einem der einflussreichsten Architekten der Nachkriegszeit. "Ich wollte Schwanzer greifbar machen", sagt Swiczinsky. "Und das geht nicht mit einem klassischen Architekturbuch mit menschenlosen Architekturfotos und viel zu theoretischen Architekturtexten. Das geht nur, indem man die Erwartungen bricht. Beispielsweise mit einem Comic."

Initiator hinter dem ungewöhnlichen Projekt ist Karl Schwanzers Sohn, Martin Schwanzer, seines Zeichens Architekt und Immobilienentwickler. "Ursprünglich wollte ich einen Zeichentrickfilm über meinen Vater machen", so Schwanzer, "aber das hätte Millionen gekostet. Das Comic, das man immerhin als eine Art Storyboard für den bislang nicht realisierten Film auffassen kann, war ein guter, wirtschaftlich machbarer Kompromiss." Erst im Mai letzten Jahres, zum 100. Geburtstag seines Vaters, richtete Martin Schwanzer einen Instagram-Account ein, auf dem ein Teil des Schwanzer-Archivs – Hochglanzfotos, Baustellendokumentationen und flüchtige Reiseschnappschüsse aus drei Jahrzehnten – nun öffentlich zugänglich ist.

Ein Perfektionist

"Mein Vater war ein Perfektionist und hat detailgenaue Bestandspläne anfertigen und jedes einzelne seiner Projekte professionell fotografieren lassen", erinnert sich Martin Schwanzer. "Auf diese Weise hat er uns ein perfektes, fast lückenloses Archiv hinterlassen. Daher gelang es, das Comic sehr nah an der Realität anzusiedeln." Die Wahrheitstreue bezieht sich auf die Darstellung der Häuser und Protagonisten, aber auch auf so manch intimen Moment zwischen Einsamkeit und Wutausbruch. Das Comic beschönigt keinen Moment lang. "Mit der Lösung eines Problems ist man verkettet bis zur Selbstaufgabe. Man vergisst alles um sich herum, vergisst zu essen, zu schlafen, zu lieben." (Karl Schwanzer, Seite 80.)

Fast zeitgleich zur Graphic Novel erschien ein ebenso berührender, im Blick überraschender Bildband zu Schwanzers in Würde gealterten Bauten. Die Spurensuche des Wiener Fotografen Stefan Oláh macht die im Comic skizzierte Welt in realen Bildern noch greifbarer. Viele der Fotografien erzeugen neue, unentdeckte Sichtweisen auf sein Werk. Sie bestätigen Schwanzers Qualitätsanspruch, der heute mehr denn je als Notruf zu verstehen ist: "Architektur darf sich nicht davon entfernen, künstlerisches Werk zu bleiben. Wenn man sich entschlossen hat, Architekt zu sein, muss man den Mut aufbringen, Visionen erfüllen zu wollen." (Wojciech Czaja, 7.4.2019)