Es scheint, als hätten alle dem Plastik den Kampf angesagt, "Plastikfasten" wird fast wie eine Ersatzreligion betrieben. Es gibt schlechtere. Niemand zweifelt heute mehr daran, dass Plastikmüll unsere Ozeane verseucht und als Mikroplastikpartikel in unseren Körpern landet. Das EU-Parlament hat Ende 2018 ein Verkaufsverbot für Einweg-Kunststoffartikel beschlossen. Ist unsere Zukunft also plastikfrei?

Experten wie Christian Pladerer vom Österreichischen Ökologie-Institut und Philipp Sommer von der Deutschen Umwelthilfe bezweifeln das. Im medizinischen Bereich oder in der Autoindustrie sei der Einsatz von Plastik weiterhin sinnvoll, sagt Pladerer. Die Experten sind sich aber auch einig, dass wir auf Wegwerfprodukte aus Plastik und Einweg-Kunststoffverpackung verzichten müssen.

Verrottet nach Jahrhunderten

"Wenn Verpackungen oder Einwegprodukte so produziert werden, dass man dabei viel Energie braucht und die Umwelt schädigt, und wenn sie nach dem Gebrauch in der Natur landen, dann haben wir ein großes Problem", sagt Pladerer. Es dauere Jahrhunderte, bis Plastikabfälle vollständig verrottet sind. "Wenn ich einen Kunststoffartikel öfter verwende, ist es okay. Wenn ich es nur einmal kurz gebrauche, sollte ich mich fragen, ob ich ihn überhaupt brauche."

Doch nicht nur die Umweltschäden, die Plastik als Abfall verursacht, machen es zum Problemstoff: Es wird außerdem aus begrenzt vorhandenen fossilen Rohstoffen wie Erdöl hergestellt. Hier setzen sogenannte Biokunststoffe an, die seit einigen Jahren als gute Alternative zum Plastik vermarktet werden. Sind sie das wirklich?

Es handelt sich dabei um Materialien, die zur Gänze oder teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen produziert werden. Das österreichische Unternehmen Avery Dennison etwa produziert eine biobasierte Folie aus Zuckerrohr-Ethanol. Auch die Firma Tetra Pak setzt bei der Herstellung mancher Verpackungen auf Zuckerrohr. Und in den USA ist es Materialforschern gelungen, Verpackungsfolie aus Milch zu fertigen. Die Folie ist genießbar, biologisch abbaubar und eignet sich zum Verpacken von Lebensmitteln.

Bio ist nicht gleich Bio

Aber sind die Biokunststoffe, die derzeit von Supermarktketten und Nahrungsmittelherstellern als umweltschonend angepriesen werden, automatisch die umweltfreundlichere Alternative? Damit diese Agrokunststoffe, wie die Biokunststoffe auch genannt werden, Vorteile gegenüber herkömmlichem Plastik haben, müssen sie wichtige Voraussetzungen erfüllen, sagen Experten wie Philipp Sommer: "Wenn man für die Herstellung genveränderten Mais oder Zuckerrohr anbaut oder Milchproteine einsetzt, dann gibt es bei einer Gesamtbetrachtung der Umweltfolgen nicht wirklich Vorteile gegenüber herkömmlichen Kunststoffen aus Erdöl."

Mehrwegverpackung aus herkömmlichem Plastik hat oft eine bessere Ökobilanz als Einwegglas oder Dosen. Ideal wären Biokunststoffe, die aus Abfällen nachhaltiger und biologischer Landwirtschaft hergestellt werden.
Grafik: Fatih Aydogdu

Wenn nachwachsende Rohstoffe massenhaft angebaut werden, setzt auch das der Umwelt gehörig zu. Von Einfluss ist auch, welche Bestandteile einer Pflanze zu Kunststoff verarbeitet werden: "Nimmt man dafür vorhandene Pflanzenabfälle, ist das natürlich besser, als wenn extra Zuckerrohr angebaut werden muss, um die Stoffe zu produzieren", sagt Christian Pladerer. Umso besser, wenn diese Abfälle sonst nicht als Tiernahrung oder Dünger eingesetzt, sondern tatsächlich ohne Verwendung verrotten würden.

Probleme warten am Ende

Wie "normale" Plastikprodukte werden auch viele Biokunststoffe bei der Entsorgung zum Problem. Landen sie in der Umwelt, ist es besser, wenn sie biologisch abbaubar sind – doch das sind eben nicht alle. Auch korrekt entsorgt können sie zum Problem werden. Ein Beispiel: Viele österreichische Supermärkte bieten mittlerweile Biokunststoffsackerln aus Maisstärke an. Sie sind theoretisch kompostierbar, gelangen aber oft gar nicht erst in den Kompostierungsprozess, weil sie in fast jeder Mülltrennungsanlage schon davor aussortiert werden, erklärt Pladerer. Laut Philipp Sommer haben die biobasierten Kunststoffe bei der Entsorgung dadurch oft sogar Nachteile gegenüber konventionellen Kunststoffen: Man kann sie in den üblichen Anlagen oft nicht recyceln.

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PET-Flaschen in einer Schweizer Recycling-Anlage.
Foto: REUTERS/ARND WIEGMANN

Für beide Experten gibt es im Grunde nur eine "wahre Alternative" zum Einwegplastik: das gute alte Mehrwegsystem. Dazu zählen sie auch Mehrwegflaschen aus herkömmlichem Kunststoff, die reinigbar sind und damit die ökologisch bessere Bilanz als ressourcenaufwendiges Bioplastik, Einwegglasflaschen oder Dosen haben. Man müsse als Konsument außerdem darauf achten, dass Unternehmen mit dem Einsatz von Biokunststoffen kein "Greenwashing" betreiben – sich also zu Unrecht ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image verpassen, warnt Sommer.

Doch die Nachteile, die Biokunststoffe in unseren derzeitigen Abfall- und Recyclingsystemen haben, sind noch kein Freispruch für die klassischen Plastikprodukte, allen voran die allgegenwärtige Plastikverpackung: "Plastik ist nicht die Wurzel des Übels", sagt Sommer. "Aber die Probleme fangen an, wenn Einwegverpackung in der Umwelt landet."

Annäherung ans Ideal

Macht man sich auf die Suche nach einer zukunftsträchtigen Alternative zu Plastik und wägt man alle Vor- und Nachteile ab, käme man auf folgendes ideales Material: einen Agrokunststoff, der ressourcenschonend aus Abfällen biologischer Landwirtschaft gemacht wird, biologisch abbaubar ist und mehrfach verwendet werden kann. Dem sehr nahe kommt die Entwicklung des US-amerikanischen Materialforschers James Rogers. Er hat eine essbare und unsichtbare Beschichtung für Obst und Gemüse erfunden, genannt Edipeel.

Hergestellt wird die Substanz aus Pflanzenabfall, etwa aus Schalen von Tomaten, Obststielen oder -kernen. Edipeel wird direkt auf Obst und Gemüse gesprüht, soll es für lange Transportwege haltbarer machen. Dank der Beschichtung sollen Kosten und Energie für die Kühlung eingespart werden.

Derzeit prüft die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Edipeel und entscheidet dann, ob es auch in der Europäischen Union zugelassen werden soll.

Doch bevor umweltschonende, praktische und günstige Plastik-Alternativen für jeden verfügbar sind, müssen wir Konsumentinnen und Konsumenten uns täglich entscheiden: Zu was greife ich, wenn ich etwa an der Supermarktkassa stehe und die Wahl zwischen Plastik-, Biokunststoff- und Papiersackerl habe? Auf diese Frage antwortet Christian Pladerer schmunzelnd mit einem knappen: "Zu gar nichts!" Jeder von uns habe doch inzwischen zahlreiche Stoff- und andere Mehrwegsackerln in der Tasche. (Text: Olivera Stajić, Grafik: Daniela Yeoh, 9.4.2019)

Wie man ohne Plastik leben kann, erfahren Sie in unserem Podcast.