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Die Polizei in Berlin-Neukölln sucht in Lokalen von arabischen Großfamilien regelmäßig nach belastendem Material. "Wir finden immer was", sagt ein Ermittler.

Foto: Picturedesk.com / Visum / Jens Gyarmaty

"Ey total geil!" Der kleine Bub mit seinem Tretroller ist ganz aus dem Häuschen. "Dreht ihr hier für 4 Blocks, oder was?" Sieben Polizisten haben in der Neuköllner Hobrechtstraße vor einem unscheinbaren Café Aufstellung genommen, aus einem Begleitfahrzeug steigen weitere Polizeikräfte, man sieht auch gelbe Westen mit der Aufschrift "Steuerfahndung Berlin".

Doch nein: Es sind keine Dreharbeiten für die TV-Serie oder einen Spielfilm über arabische Clans in Berlin. In der kleinen Straße mit dem typischen Berliner Kopfsteinpflaster geht es gegen echte Mitglieder der mittlerweile fast schon legendären Großfamilien in der Berliner Hauptstadt.

Ein kurzer Blick ins verrauchte Café, in dem ausnahmslos Männer sitzen, dann ist klar: Es gibt einiges zu tun. Die Thekenkraft hat keine Arbeitserlaubnis, in der Dachrinne liegen Drogen, Spielautomaten sind im Nebenraum aufgestellt und nicht – wie vorgeschrieben – im Aufsichtsbereich des Personals.

Aber die bunt blinkenden Geräte sind ohnehin gleich Geschichte. Sie werden, wie ein großer Fernseher, in den Polizei-Lkw verladen, wobei eine Sackkarre des Bezirksamtes zu Bruch geht. Doch dieser Kollateralschaden ist verkraftbar.

Regelmäßige Verbundeinsätze

"Hat sich gelohnt", sagt Thomas Böttcher und nickt zufrieden. Der 61-jährige Polizeidirektor, Leiter des Abschnitts 55 in Berlin-Neukölln, verbringt neuerdings viel Zeit in diversen Neuköllner Etablissements wie Spielhallen oder Shishabars.

Mehr Kriminalität als anderswo hat es im traditionellen Arbeiterbezirk Neukölln, der wegen seines hohen Anteils an Migranten auch "Problembezirk" genannt wird, immer schon gegeben. Doch mittlerweile herrschen Zustände, die Bezirksvizebürgermeister Falko Liecke (CDU) so beschreibt: "Die Clankriminalität hat ein Ausmaß erreicht, das nicht mehr akzeptabel ist."

Fünf bis sechs große Familien mit bis zu 800 Mitgliedern betreiben in Böttchers Revier im Norden ihre Geschäfte. Für die schweren Straftaten sind die Ermittler im Landeskriminalamt zuständig. Böttcher und seine Leute hingegen verfolgen an der Basis eine neue Strategie.

Regelmäßig gibt es sogenannte Verbundeinsätze gegen Clankriminalität. Dann rücken Polizei, Bezirksamt, Steuerfahndung und Zoll gemeinsam aus. 110 Kräfte sind an diesem Abend im Einsatz.

Die Intention beschreibt Böttcher so: "Wir setzen permanente Nadelstiche und entfalten Druck auf die Clans, um zu zeigen, dass der Staat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Und wir geben natürlich auch der Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit. Es gibt hier keine No-go-Areas."

Belästigung beim Teetrinken

Im Café selbst sieht man das anders. "Was macht ihr hier? Das ist nicht normal! Ich will doch nur Tee mit meinen Freunden trinken, und ich werde dauernd kontrolliert", empört sich ein 56-Jähriger, der als Kind aus der Türkei nach Berlin kam.

Seine Meinung: "Es geht immer nur gegen die Ausländer!" Da kommt ihm Martin Hikel gerade recht. Der Neuköllner SPD-Bezirksbürgermeister steigt aus seiner Limousine, um sich den Laden mal anzusehen. Findet ein Einsatz mit Schwerpunkt Clankriminalität statt, dann sind Berliner Politiker – vom Innensenator abwärts – meist nicht weit. Alle wollen demonstrieren, dass sie das Problem erkannt haben.

"Der Pass ist uns egal, wir kontrollieren auch Deutsche", versucht Hikel den Aufgebrachten zu beruhigen. Er kommt damit nicht durch. "Ich kenne den Inhaber, das Café ist zu 1000 Prozent sauber", sagt der Gast, was die Einsatzkräfte allerdings anders sehen. Der Mann hat 70.000 Euro Steuerschulden, als Gewerbetreibender verstößt er gegen zahlreiche Auflagen.

"Wir finden immer was", sagt einer aus der Truppe, "Drogen, Waffen, Gammelfleisch, Stromdiebstahl, manipulierte Spielautomaten, abgelaufene Konzessionen, blockierte Fluchtwege."

Stillgelegte Spielautomaten

Einige Straßen weiter, die nächste Durchsuchung, wieder ein Café mit Spielautomaten, wobei der Begriff "Café" recht wörtlich gemeint ist. Zu trinken gibt es nur diesen und ein paar Limonaden. Dafür stehen viel mehr Spielautomaten als erlaubt im Raum. Ein Klassiker, sagt einer der Polizisten. Er möge die Geräte zur Überprüfung öffnen, wird der Betreiber von einem Mitarbeiter des Finanzamtes aufgefordert.

Der Mann hat keinen Schlüssel. Wo ist der? Beim Chef. Wo ist der Chef? Im Libanon. Also werden die Automaten stillgelegt, statt "Top Game" flimmert nun "Ruhepause" über die Bildschirme neben der verstaubten Plastikpalme.

Weniger ruhig läuft die Durchsuchung in einem Spielsalon gleich daneben ab. Der Inhaber – er stammt aus der Türkei – beschwert sich über permanente Schikanen durch die Polizei und versichert: "Ich bin ein ehrlicher Geschäftsmann." Gespielt werde bei ihm kaum, er verdiene bloß an den Getränken.

"Die wollen, dass ich aufgebe", sagt er über die Polizei. Und er fasst seinen Frust zusammen: "Vor 30 Jahren haben sie uns Ausländer ins Land gelassen, aber dann haben sie uns vergessen."

Falscher Multikulturalismus

Den Vorwurf, sich nicht um Integration gekümmert zu haben, muss sich die Politik genauso anhören wie jenen, Multikulti zu lange verklärt zu haben. "Die Clankriminalität konnte richtig groß werden, weil bestimmte Bevölkerungsgruppen aus falsch verstandenem Multikulturalismus nicht diskriminiert werden sollten", sagt der Migrationsforscher Ralph Gadbahn, der ein Buch über Clans geschrieben hat.

Man sieht dieses Problem bei der Polizei auch. Und dennoch muss sie jetzt gegen die Auswüchse vorgehen. Mitleid mit dem Geschäftsmann, der seine Einkünfte vor allem durch den Verkauf von Cola und Kaffee erzielen will, hat keiner. "Der betreibt 40 Läden. Bei einer Hausdurchsuchung vor kurzem haben wir Kontoauszüge mit neun Millionen Euro gefunden", sagt einer. Der Fall liegt nun bei der Steuerfahndung.

Das schnelle und viele Geld ist natürlich das Hauptproblem. Polizisten und Lehrer erzählen, dass Kinder von Clangrößen mit Bündeln von Hundert-Euro-Scheinen durch die Klassen laufen. "Wir können keine Mercedes-S-Klasse bieten, sondern nur eine Kfz-Lehre", sagt CDU-Mann Liecke, der Kinder aus den kriminellen Clans holen will. Diese Alternative erscheint jedoch den wenigsten attraktiv.

Hurensohn, Bitch und Schlampe

Deshalb übernehmen Böttcher und sein Team auch den Versuch, pädagogisch einzuwirken. Wer "Hurensohn, Bitch, Schlampe oder ich ficke deine Mutter", sagt, begeht eigentlich die Straftat der Beleidigung, wird Kindern in der Präventionsstunde der Polizei vermittelt. Kaum jemand weiß das, es gehört zur Alltagssprache.

Um die Älteren "kümmert" sich Böttcher persönlich auf der Straße. Spätabends, bei der Verkehrskontrolle auf der Hermannstraße, lässt er bevorzugt sehr teure Fahrzeuge herauswinken. Oft beziehen die Fahrer Sozialhilfe, das Auto gehört dem Onkel, dem Cousin oder dem Cousin vom Onkel.

Gerade inspizieren Polizisten einen Luxuswagen, der zur Fahndung ausgeschrieben ist. Man möge sich "verpissen", er habe gute Anwälte, schreit der 20-jährige Fahrer. Warum er keine Papiere vorweisen kann, sagt er nicht. Es sei das Auto seines Onkels. Wenig später wird es auf den Abschleppwagen gehievt und abtransportiert.

Weil sie gezielt junge Männer mit teuren Autos rausfischen, müssen sich die Polizisten oft Klagen über Racial Profiling anhören. "Nein", sagt einer, "da geht es um beinharte kriminelle Strukturen."

Völlig zerschlagen werde man diese niemals, das weiß auch Böttcher. "Aber die Nadelstiche beginnen zu wirken", sagt er. Einigen lokalen Clangrößen sei der Druck in Neukölln zu groß geworden, sie sind weggezogen. "Das verschafft dem Bezirk Luft", meint er und hofft, so eines Tages sein persönliches Ziel erreichen zu können: "Die Kriminalität soll in Neukölln zumindest nicht höher sein als anderswo in Berlin." (Birgit Baumann, 6.4.2019)