Das Innere nach außen zu kehren – wie in dem 1910 gemalten Bildnis von Bessie Bruce, der Freundin des Architekten Adolf Loos -, darauf verstand sich Oskar Kokoschka.

Foto: bpk/Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders © Fondation Kokoschka / Bildrecht Wien, 2019

Kokoschkas "Selbstbildnis eines 'entarteten Künstlers'" von 1937.

Foto: Fondation Oskar Kokoschka/ DACS 2015. Private Collection on long term loan to the National Galleries of Scotland

Kokoschkas Plakat für sein Drama "Mörder, Hoffnung der Frauen" von 1909.

Foto: Leopold Museum/Manfred Thumberger

Die Augen verschattet, das Lid hängend, blasse Haut mit tiefen Furchen: Es war ausdrucksstark und feinnervig, wie Oskar Kokoschka (1886-1980) seinen Förderer Adolf Loos 1909 porträtierte. Als schön galt es nicht. "Seelenaufschlitzer" nannte man den Mitbegründer des österreichischen Expressionismus spitz. Das Innere kehrte er mit groben Pinselstrichen nach außen.

Viele dieser Porträts sind nun in der umfassenden Kokoschka-Retrospektive des Leopold-Museums zu sehen. Sein umfangreiches OEuvre spiegelt die Geschichte des 20. Jahrhunderts wider und ist bis heute aktuell, stellt der Titel bereits klar: Oskar Kokoschka: Expressionist, Migrant, Europäer.

Ein Ausstellungsunterfangen, für das es einen starken Partner brauchte. Gemeinsam mit dem Kunsthaus Zürich bekamen die beiden Häuser Leihgaben internationaler Sammlungen: beeindruckende, die eigenen Beständen erweiternde Hauptwerke. So sind die Monumental-Triptychen Die Prometheus Saga (1950) und Thermopylae (1954) erstmals seit 1962 wieder gemeinsam zu sehen. Für Wien wurde die Schau, die zunächst in Zürich Station machte, allerdings adaptiert. Die Kuratorin Heike Eipeldauer nimmt Kokoschkas Wiener Jahre und sein Verhältnis zur Stadt besonders in den Fokus. Gezeigt werden neben den Porträts auch ganz frühe Werke: verspielte grafische Postkartenentwürfe für die Wiener Werkstätte (1908) zum Beispiel oder aquarellierte Aktstudien (1912), in deren kantigen, schroffen Kreideumrissen man Schieles Duktus zu erkennen meint.

Von Diskursen geprägt

Anliegen ist es auch zu zeigen, wie stark Kokoschka von den Diskursen im Wien der Jahrhundertwende geprägt war. Durchaus überraschend legt die Präsentation besonderen Wert auf die misogynen Theorien zum Geschlechterkampf Otto Weiningers und Ideen des Matriarchatsverfechters Johann Jakob Bachofen.

Oskar Kokoschka verarbeitet diese etwa im Drama Mörder, Hoffnung der Frauen, das 1909 skandalös scheiterte. Das Plakat dazu erfindet die Pietà-Darstellung neu: Die Marienfigur wird zur Femme fatale mit dunkler Mähne und grellroten Lippen und überwindet so die Polarität von heroisierter Mutterfigur und sexualisierter Dirne.

Doch gerade im Blick auf sein Verhältnis zu den Frauen treten Kokoschkas eigene Untiefen zutage. Die Ambivalenz von theoretischer Begeisterung fürs Matriarchat und Realität zeigt die Beziehung zu Alma Mahler. Zwei Jahre sind sie ein Paar. Sie inspiriert ihn. Auf einer gemeinsamen Dolomitenreise entsteht in Grün- und Blautönen die Landschaft Tre Croci (1913) – ein Schlüsselwerk, das später Teil der "Entartete Kunst"-Ausstellung sein wird.

Obsessionen in Fell

Doch Kokoschka erträgt Mahlers Selbstständigkeit, ihre Ablehnung traditioneller Rollenbilder nicht. Als sie heimlich abtreibt, meldet er sich zum Kriegsdienst. Er überlebt Genickschuss und Bajonettstich, übersiedelt nach Dresden und gibt 1918, voller Obsession für Mahler, eine lebensgroße Alma-Puppe in Auftrag. Eine mit Teddyfell überzogene Kopie der grobschlächtigen Figur sitzt nun im Museum. Geschickt wird hier nun Hermine Moos, die die Puppe herstellte, in den Vordergrund gerückt. Kokoschkas Fetischobjekt wird so zum kollaborativen Produkt mehrerer Personen. In das Bild des Matriarchatsanhängers will die Episode dennoch nicht passen.

Auch inhaltlich dichte Räume zu den Kriegs- und Nachkriegsjahren im Exil zeigen Kokoschka als ambivalente Persönlichkeit: Auf der einen Seite steht das humanistische Engagement, das Einstehen für die europäische Idee, die antinationalistische Haltung, auf der anderen steht Kokoschka, der begnadete Selbstinszenierer, der es versteht, sich zu vermarkten, und sich mit schillernden Persönlichkeiten umgibt. Dass dabei Opportunismus Ideale schlägt, wirft ihm der Wiener Ludwig Münz vor: "Glaube mir, weder Karl Kraus noch Adolf Loos hätten für Deine neuen Freunde irgendein Verständnis!"

Es ist die Stärke der Schau, der expressiven Kunst viel Dokumentarisches zur Seite zu stellen. So entsteht ein differenziertes Bild von einem, der genau wie die von ihm Porträtierten voller Widersprüche, Zweifel, aber auch Eitelkeiten war. (Kathrin Heinrich, 6.4.2019)