Teodor Currentzis begeisterte die Zuhörer im Konzerthaus.

Foto: APA/STEPHANE DE SAKUTIN

Wien – Es war großartig. Packend, mitreißend, aufwühlend. Rührend. Ein Ausnahmeereignis. Ein Konzert, das bleiben wird. Während der eineinhalbstündigen Aufführung war der Großteil der Musiker – in bodenlanges, mönchisches Schwarz gekleidet – gestanden, am Ende stand der Großteil des Publikums und klatschte sich die Hände heiß. Und zwischen dem letzten "libera me" des Chores und dem ersten Patscher ereignete sich zudem noch eine rare Minute der Kontemplation, des stillen Angedenkens, des Ab- und Nachklingens dieser eben gehörten Klangschlachten und Tonstreicheleien im Großen Konzerthaussaal.

Giuseppe Verdis "Messa da Requiem" endet in vierfachem Piano, morendo, und beginnt im Pianissimo. Nicht so bei Teodor Currentzis: Da begannen die Celli im vierfachen Piano und wurden beim absteigenden a-Moll Dreiklang noch viel leiser. Es war mehr ein Ahnen von Tönen, Musik aus einer ätherischen Zwischenwelt. Wie auch die Chorstimmen bei der Dur-Aufhellung von "lux perpetua" wie ein wärmender Hauch durch den Saal schwebten: transzendente Engelsstimmen aus lichten Wolkennebelnestern, die selbst Agnostiker ansprachen.

Triumphales Fanfarengewitter der Blechbläser

Es folgte die unerbittliche Härte des "Dies irae", es folgte das triumphale Fanfarengewitter der Blechbläser im "Tuba mirum" (inklusive der auf den Seitenbalkonen platzierten Trompeten), das einem den Atem raubte. Gänsehaut auch, als der Basssolist sein "mors" bei der dritten Wiederholung mehr stammelt als singt, als die Mezzosolistin beim "Nil inultum remanebit" ultimative Gebrochenheit transportiert.

Neben den zahlreichen erschütternden und auch erwärmenden Details dieser Deutung des Requiems fesselte auch das Gesamtbild – beziehungsweise die lebendigen, plastischen Bilderfolgen. Verdis Partitur verwandelte sich bei dem 47-jährigen Dirigenten und seinen Musikern und Sängern von musicAeterna der Oper Perm in eine Landschaft, in ein dreidimensionales Gelände, aus dem solistische Sequenzen der Instrumentalisten und der Sänger wie sanfte Erhebungen hervortraten und Melodielinien wie Flussläufe eingearbeitet waren.

Leichtfüßige Sanctus-Rufe des Chores

In der actionreichen "Dies irae"-Sequenz wähnte man sich – weiß der Teufel, warum – in einem Scharmützel des Dreißigjährigen Krieges: Alles so handfest und robust hier. Frühlingssonne, Vogelgezwitscher und mädchenhafte Reinheit assoziierte man bei den heiteren, leichtfüßigen Sanctus-Rufen des Chores. Und dieser wunderbar abgefederte Schluss des Sanctus: Oh. Mein. Gott.

Die vier Gesangssolisten machten sich zu willigen Werkzeugen des szenisch gedachten und empfundenen Ausdruckswillens ihres Dirigenten: Bass Tareq Nazmi fühlte sich bei vokalen Machtdemonstrationen wohler als im Pianissimo, im Gegensatz zum dynamisch allseits souveränen René Barbera mit seinem höhensicheren, hellen Tenor; sinnlich Mezzosopranistin Varduhi Abrahamyan (im Freitagskonzert).

Beim Sopran von Zarina Abaeva hätte man sich mehr Glanz und Strahlkraft gewünscht. Beim abschließenden "Requiem aeternam" wurde sie von Currentzis auf der Orgelempore platziert: Als Mittlerin zwischen dem Chor und den überirdischen Dingen war Abaeva ganz vokale Weichheit, konnte aber eine leichte Nervosität ob der exponierten Position nicht gänzlich abschütteln.

Und so stand man am Ende da, mit glühenden Ohren und wundem Herzen, klatschte und klatschte, und war hin und weg. Glücksgefühle beim Gedenken an den Tod: Große Kunst macht’s möglich. (Stefan Ender, 6.4.2019)