Populismus trat historisch in vielen Varianten auf. Er hat zum Beispiel benachteiligten Schichten in Südamerika ein besseres Leben ermöglicht. Der heutige Populismus richtet sich aber gegen internationale Abkommen, wie etwa gegen den Klimavertrag, Menschenrechte und Abrüstung. Er verhindert die Reform der Europäischen Union und eine Zusammenarbeit bei Problemen, die nur gemeinsam lösbar sind (Klima, Sicherheit, Migration). Die AfD verlangt die Abschaffung des Euros und die Krisenbekämpfung durch die Europäische Zentralbank, Italien verstößt gegen Defizitgrenzen, osteuropäische Staaten setzen auf Kohle und setzten Klimaverträge nicht um.

Für die Europawahlen im Mai kandidieren drei populistische Gruppierungen: Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) mit der Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien und der AfD aus Deutschland, Europa der Nationen und der Freiheit (ENL), mit Vertretern der Parteien von Le Pen und Salvini, und Europäische Konservative und Reformer (ECR) mit der polnischen PiS und den Schwedendemokraten. Wenn die drei populistischen Gruppen zusammenarbeiten und in einigen Regierungen mitentscheiden, können sie nach den Wahlen die Bestellung der EU-Kommission entscheidend beeinflussen.

Vor der Wahl verschweigen Populisten ihre geheime Agenda, sei es Marine Le Pen oder die Schwedendemokraten. Sie setzen "nur" auf unrealistische Reformen mit der Absicht, den Austritt ihres Landes zu verlangen, sollten diese Forderungen nicht punktgenau erfüllt werden. Das Ziel des Austritts des eigenen Landes anzusprechen wird vermieden, da Umfragen in jedem Land eine Mehrheit für die weitere EU-Mitgliedschaft zeigen.

Unterschied zu volksnaher Politikpräsentation

Die jüngste Populismuswelle hat drei Muster, die sie von der Rhetorik "populärer" Politiker unterscheidet. Das erste ist die gezielte Polarisierung der Gesellschaft durch ein in sich homogenes "Volk" auf der einen Seite und eine korrupte vom Ausland gesteuerte "Elite" auf der anderen. Das zweite ist eine negativ verzerrte Darstellung der Wirklichkeit: es ist schlicht falsch, dass heute Einkommen, Arbeitsplätze und Lebensqualität schlechter sind als in der "glorreichen" Vergangenheit. Das dritte Muster ist der Ruf nach Renationalisierung der Politik, auch wenn immer mehr Probleme gemeinsame Lösungen erfordern und die Vielfalt von Gütern, die sich aus dem Handel ergeben, Wohlfahrt und Kaufkraft besonders der unterprivilegierten Schichten erhöhen. Die Inflation, die früher oft zweistellig war, liegt unter drei Prozent.

Was treibt den Populismus an?
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Vier Triebkräfte und ein Turbo

Populismus wird erstens genährt durch wirtschaftliche Probleme: dazu zählen Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, geringe Einkommensdynamik oder etwa die Abwanderung der Jugend aus den osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Dies erfolgt oft gerade in Regionen, die von klassischer Industrie dominiert waren.

Zweitens entstehen durch die Globalisierung und den technischen Wandel Ängste und Unsicherheit. Diese sind begleitet von Abstiegsängsten und Statusverlust; frühere Qualifikationen verlieren an Attraktivität.

Die dritte "kulturelle" Ursache sind liberale Werte wie Geschlechtergleichheit, Minderheitenschutz und Offenheit für neue Formen des Zusammenlebens. Nicht alle Menschen können sich mit der Dominanz dieser Werte anfreunden; Populisten werden zum Sprachrohr des bisher stillen Widerstands.

Letztlich sind Politikversagen und die schlechte Beratung durch die Ökonomie eine Ursache. Globalisierung und europäische Integration sind für die Mehrheit ein Vorteil. Beide verhindern aber auch traditionelle Instrumente der Wirtschaftspolitik, wie Subventionen und Bevorzugung nationaler Anbieter. Neue Instrumente der Wirtschaftspolitik müssten die Verlierer befähigen, auf die Gewinnerseite zu wechseln, zum Beispiel in angenehmere, selbstbestimmte Tätigkeiten. Versagt die Wirtschafts- und Bildungspolitik, dann verlieren Menschen das Vertrauen in die Politik.

Die Wirkung aller dieser Ursachen wird durch die Angst vor der Migration verstärkt. Diese ist der Turbo, der schleichende, unterschätzte Probleme zum zentralen Thema bei den Wahlen macht.

Wer wählt Populisten? Wie zementieren sie ihre Macht?

Gruppen mit niedrigem Einkommen und die Mittelschicht mit Lehr- oder Mittelschulabschluss wählen vermehrt populistische Parteien; ebenso ältere Personen, Männer und Menschen in ländlichen Gebieten. Mit steigendem Einkommen sinkt die Zustimmung für populistische Versprechungen. Dies entspricht der Modernisierungstheorie: je wohlhabender Menschen sind, desto mehr tendieren sie zu Demokratie und Offenheit.

In Industriegebieten fällt der Stimmenanteil für Populisten höher aus. Die Zunahme alternativer, aber schlecht bezahlter Arbeitsplätze (oder von Teilzeitarbeit) hilft nicht, weil dies die Abstiegsangst verstärkt oder mühsame und zeitaufwendige Pendlerwege erfordert. Die Wähleranteile von Populisten sind allerdings in Regionen niedriger, in denen es mehr Migranten gibt, und sie sinkt bei Personen, die Migrantinnen und Migranten persönlich kennen. Die Angst vor Migration ist ein Turbo, auch wenn es regional keine Zuwanderung gibt (wie in Ungarn) oder die persönliche Erfahrung mit Migration positiv ist. Entscheidend dafür, wie hoch die Wahlerfolge von Populisten ausfallen, ist, ob den Mainstreamparteien die Lösung von Problemen zugetraut wird.

Populismus ist gefährlich, wenn seine Rezepte, Grenzen zu schließen und internationale Verträge zu kündigen, die ökonomischen Probleme nicht nur nicht lösen, sondern eher verstärken. Wird dies sichtbar, verstärken populistische Regierungen die interne Polarisierung und machen einen externen Feind für die Misserfolge verantwortlich. Dann versuchen sie, die demokratischen Spielregeln zu verändern, die Unabhängigkeit der Gerichte zu beseitigen und die Medien zu "besetzen". Europäische Spielregeln werden ignoriert, es entstehen illiberale Demokratien mit autokratischen Zügen, wie zum Beispiel in Ungarn.

Eine Gegenstrategie zu entwickeln, übersteigt das Ziel dieses Beitrages. Hier kann nur betont werden, dass ein "Populismus light" – also dieselbe Politik, nur etwas weniger menschenverachtend – keine Lösung ist. Eine Gegenstrategie muss die pessimistische Verzerrung der Realität durch eine Stärken- und Schwächenanalyse ersetzen. Die Fähigkeit, Veränderungen zum Vorteil zu machen, muss durch Bildungs- und Steuerpolitik gestärkt werden. Migration muss in Gebiete mit Arbeitskräfteknappheit gelenkt, ihr Ausmaß durch Investitionen in die Herkunftsländer begrenzt werden. Eine Vision, wo jedes Land und Europa seine komparativen Vorteile sieht, ist nötig. Die Politik muss stärker mit nicht-staatlichen Organisationen kooperieren und Social Media proaktiver zur öffentlichen Verbreitung von tatsächlichen Fakten nutzen. (Karl Aiginger, 9.4.2019)