Auch der Langenferner in der Südtiroler Ortlergruppe ist ein Auslaufmodell.
Aktuell beträgt der Eismasseverlust der Gletscher (ohne Grönland und die Antarktis) weltweit 335 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Foto: Stephan Galos

Sie sind in Österreich die unmissverständlichsten Zeichen dafür, dass sich das Klima stark erwärmt hat: Der zum Teil dramatische Rückgang der großen Alpengletscher zeigt sich nicht mehr nur bei der vergleichenden Betrachtung alter Aufnahmen vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Selbst Vergleiche mit jenen Eismassen, die noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorhanden waren, machen offensichtlich, dass die Alpengletscher langfristig ein Auslaufmodell sind.

Der Alpenraum war in den letzten 150 Jahren von der Erderwärmung besonders stark betroffen. Doch im Vergleich zu den anderen Gletschern weltweit (ohne Antarktis und Grönland) ist ihr relativer Anteil an der globalen Gletscherschmelze vergleichsweise gering, wie der Glaziologe Michael Zemp mit einem internationalen Forscherteam herausgefunden hat. In Zemps Worten: "Weltweit verlieren wir etwa das Dreifache des in den gesamten europäischen Alpen gespeicherten Eisvolumens – jedes Jahr."

Die neue Studie, die Zemp und seine Kollegen – darunter auch der Glaziologe Fabien Maussion von der Uni Innsbruck – im Fachblatt Nature veröffentlicht haben, ist die bisher umfassendste und genaueste Analyse des Eismasseverlusts durch Gletscherschmelze in den letzten Jahrzehnten. Das Besondere an der Untersuchung: Das internationale Forschungsteam untersuchte weltweit 19.000 Gletscher und kombinierte dabei glaziologische Feldbeobachtungen mit Satellitenmessungen.

Eisverlust am Franz-Josef-Land im russischen Teil der Arktis:
Die blauen Flächen tragen keinen Schnee und tauen ab.
Foto: Copernicus Sentinel data 2017

Kombinierte Messmethoden

"Durch die Kombination verschiedener Messmethoden können wir eine bisher nicht da gewesene Anzahl an Messungen vorlegen", erläutert Fabien Maussion vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck. "Unsere Daten basieren somit auf realen Messungen durch klassische Beobachtung der Gletscher auf der Erde und durch Satelliten aus dem Weltraum – und das zurück bis in die 1960er-Jahre."

Während die glaziologischen Messungen vor Ort die jährlichen Schwankungen veranschaulichen, ermöglichen die Satellitendaten, den Gesamteisverlust über mehrere Jahre oder Jahrzehnte zu bestimmen. Erleichtert wurde das Ganze durch die umfassende Datenbank des World Glacier Monitoring Service.

Rund 10.000 Gigatonnen

Die von den Forschern so gewonnenen Ergebnisse, die nicht auf Prognosen oder numerischen Modellierungen, sondern auf harten Daten beruhen, haben es in sich: Zwischen 1961 und 2016 haben Gletscher fast 10.000 Gigatonnen Eis verloren (eine Gigatonne ist eine Milliarde Tonnen). Das wiederum entspricht einem Anstieg des globalen Meeresspiegels um 27 Millimeter im genannten Zeitraum.

Die größten Beiträge leisteten die Gletscher in Alaska, gefolgt vom schmelzenden Patagonischen Eisschild und den Gletschern in den arktischen Regionen. Auch die Gletscher in den europäischen Alpen, im Kaukasus und in Neuseeland waren von erheblichen Eisverlusten betroffen. Sie spielten aber aufgrund ihrer relativ kleinen Fläche beim Anstieg des globalen Meeresspiegels nur eine untergeordnete Rolle.

Die relativen Anteile am Gletschereisverlust je nach Region.
Foto: Zemp et al. 2019, Nature

Beschleunigte Anstiege

Dramatisch ist die Zunahme des globalen Massenverlusts von Gletschereis insbesondere seit den letzten 30 Jahren: Aktuell beträgt dieser 335 Gigatonnen Eis pro Jahr. Dies entspricht einem Anstieg des Meeresspiegels um fast einen Millimeter pro Jahr, wie Zemp erläutert.

Das geschmolzene Eis der Gletscher macht damit 25 bis 30 Prozent des aktuellen Anstiegs des globalen Meeresspiegels aus und ist höher als bisher angenommen: Der Eisverlust aller Gletscher entspricht in etwa dem Massenverlust des Grönländischen Eisschildes und übersteigt deutlich jenen der Antarktis. Der weitere Trend ist vorgezeichnet: Für das abgelaufene Jahr errechneten Forscher einen Anstieg des Meeresspiegels um 3,7 Millimeter. Das ist – natürlich – ein Rekordwert. (Klaus Taschwer, 8.4.2019)