Bei den Parlamentswahlen in Israel wird am Dienstag über zwei Fragen abgestimmt. Zum einen bestimmen die rund sechs Millionen Wahlberechtigten den zukünftigen Regierungskurs; zum anderen ist der Urnengang ein Referendum über den Langzeitpremier Benjamin Netanjahu.

Bei der ersten Entscheidung gibt es wenig Zweifel darüber, wie sie ausgehen wird. Umfragen geben dem Block von rechten und religiösen Parteien eine deutliche Mehrheit in der Knesset. Die israelische Gesellschaft ist in den vergangenen Jahren noch nationalistischer geworden, die Bereitschaft zu territorialen Zugeständnissen an die Palästinenser ist weiter gesunken. Es müsste schon ein Wunder geschehen, damit diese Wahl eine Regierung hervorbringt, die eine Zweistaatenlösung ernsthaft verfolgt.

Weniger klar ist Netanjahus Schicksal. Viele Israelis haben genug von seinen Korruptionsaffären und sind bereit, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Der frühere Generalstabschef Benny Gantz ist ein attraktiver Herausforderer mit starken Mitstreitern. Es kann gut sein, dass sein Blau-Weiß-Bündnis Netanjahus Likud überholt.

Schwerer Prestigeverlust

Für "King Bibi" wäre dies ein schwerer Prestigeverlust. Gantz müsste dafür gar nicht besonders gut abschneiden. Es genügt, wenn Netanjahus kleinere rechte Bündnispartner dem Likud zu viele Stimmen abknöpfen. Das erklärt auch Netanjahus Ankündigung vom Wochenende, er werde nach einem Wahlsieg beginnen, Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Es war seine plumpe Werbebotschaft an den rechten Rand des Landes, dem Netanjahu schon gewohnheitsmäßig nachgibt.

Das heißt nicht, dass Netanjahu den Plan tatsächlich ausführen wird; eine Annexion passt nicht in das Konzept des Taktikers, der zwar gern poltert, aber Risiken lieber aus dem Weg geht. Selbst die ihm so freundlich gesinnte Trump-Regierung würde einen solchen Verstoß gegen Völkerrecht und politische Räson nicht leichtfertig hinnehmen. Denn sie würde den Friedensplan, an dem Trumps Schwiegersohn Jared Kushner schon so lange bastelt, in Makulatur verwandeln.

Netanjahus größte Furcht ist ein Wahlergebnis, das zwar das rechte Lager stärkt, aber ihn schwächt. Dann wäre er von Extremisten abhängig, die sich nicht um seine Art der Realpolitik scheren. Dass er deshalb auf das Premieramt verzichtet, ist dennoch unwahrscheinlich – vor allem weil es keine echte Alternative gibt. Nicht im Likud oder bei seinen Verbündeten, aber auch nicht im Mitte-links-Lager.

Denn selbst wenn Gantz aus der Wahl als Nummer eins hervorgeht und von Staatspräsident Reuven Rivlin den Auftrag zur Regierungsbildung erhält, wird sie ihm kaum gelingen. Links der Mitte ist keine Mehrheit in Sicht – schon gar nicht ohne die Stimmen der arabischen Parteien, die für viele Israelis ein Feindbild sind. Und weder Netanjahu noch der Likud werden bereitwillig Steigbügelhalter für den Politikneuling Gantz spielen. Dann bleibt wieder nur eine Neuauflage der jetzigen Rechtskoalition mit einem angeschlagenen Premier, der sich dann der Forderungen von Rassisten und religiösen Fanatikern noch weniger erwehren kann als bisher.

"Ich oder das Chaos" lautet daher Netanjahus Botschaft – und er hat damit nicht unrecht. So qualvoll der Status quo für die Palästinenser ist und so unbefriedigend für den Rest der Welt: Aus israelischer Sicht gibt es keinen guten Grund für eine Wende. (Eric Frey, 8.4.2019)