Bloß kein Mittelmaß, jeder möchte etwas Besonderes sein. Die Belohnung wird zur Gewohnheit in einer Welt, die von Waren und Marken dominiert ist. Das klingt neoliberal und ist es auch. Es beschreibt ein Phänomen der Neidgesellschaft, das nicht nur in der Mode gerade dominant ist. Man möchte mehr scheinen, als man ist. Man schmückt sich mit Logos und Luxusprodukten, die man sich eigentlich nicht leisten kann.

Auch in Österreich verschulden sich immer mehr Jugendliche, um das neueste Handy oder angesagte Klamotten auf dem Schulhof auszuführen. Laut Daten des Finanzministeriums von 2017 ist jede vierte zahlungsunfähige Person in Österreich erst 30 Jahre oder jünger. Der soziale Druck ist größer geworden, aber auch das Angebot. Man sieht auf den sozialen Medien, was andere haben, und möchte es auch besitzen.

Der Markt hat darauf eine absurde Antwort gefunden. "Premium Mediocre", also "Premium-Mittelmäßigkeit", hat das der 1974 geborene indisch-amerikanische Raketentechniker und Blogger Venkatesh Rao genannt. Ein Blick in die Wiener U-Bahn belegt das Phänomen: Gefühlt jede zweite Frau trägt eine Michael-Kors-Tasche, die als "affordable luxury" beworben wird – eine Kategorie, die nach der Wirtschaftskrise von 2008 einen rasanten Aufstieg erlebte.

Wenn man sich nicht Chanel oder Gucci leisten kann, dann zumindest eine Handtasche, die aussieht, als ob sie ein exklusives Produkt wäre. Aber ist es dann noch Luxus, wenn es ohnehin jeder hat? Die feinen Unterschiede für alle, Luxus für jeden: Das ist ein Paradoxon.

Luxus für alle: Mit einer Tasche von Michael Kors gehört man schnell einmal zum Klub dazu. Ein bisschen wenigstens.
Foto: Inez van Lamsweerde, Vinoodh Matadin für Michael Kors (Model Binx Walton)

Premium-Mittelmaß

Die "Premium-Mittelmäßigkeit" durchdringt unseren Alltag. Es gibt Gourmetsandwiches und Trüffelöl beim Discounter, Kaschmirpullis für wenig Geld, bei Billigfluglinien wie Easyjet ein "Speedy Boarding", bei dem man im überfüllten Terminal als Erster in die Maschine darf. "Es geht darum, anderen einen bestimmten Lifestyle zu signalisieren. Das Ziel ist, ein tolles Foto der Konsumgüter zu machen, das dann an die Freunde geschickt wird, die dann denken, dass man total cool ist – die es alle aber genauso machen und so auch wissen, dass das alles ein bisschen fake ist", sagt Begriffserfinder Rao in einem Radiointerview. "Aber sie sind eben alle Teil dieser Theaterproduktion, deswegen kommt man durch mit diesem Billigkonsum."

Natürlich hat das auch eine soziale Funktion: In einer Gesellschaft, in der es immer weniger Aufstiegschancen gibt, in der das Vermögen immer ungleicher verteilt ist, bedient "Premium Mediocre" eine Illusion, doch zu einer Elite zu gehören. Man möchte Distinktion vortäuschen, um die reale Bedrohung des sozialen Abstiegs zu vertuschen. Gerade die Millennials inszenieren gern, welchen Lifestyle sie sich leisten können. Selbst wenn ihnen bewusst ist, wie prekär ihre Zukunftsperspektive ist.

Die Mode war ein Vorreiter auf diesem Gebiet. Als der kürzlich verstorbene Karl Lagerfeld 2004 die erste Hochzeit zwischen High Fashion und Fast Fashion in die Wege leitete, sorgte das zunächst für Verwirrung. Die H&M-Designer-Kooperationen sind Luxus für die Massen. Traditionelle Labels hatten damals noch Angst, dass ihre Marke dadurch entwertet würde. Das Gegenteil war der Fall: Jeder kooperiert inzwischen mit jedem, künstliche Verknappung hält einen übersättigten Markt am Laufen.

Jeden Herbst lanciert H&M gemeinsam mit einem Luxuslabel eine limitierte Kollektion zu vergleichsweise kleinem Preis. Zuletzt wurde mit Moschino zusammengearbeitet.
Foto: H&M / Moschino

Ein Stück Exklusivität

Luxuslabels haben erkannt, dass Konsumenten ein Stück Exklusivität ergattern möchten – und sei es ein überteuertes Stirnband von Gucci oder eine Baseballkappe von Balenciaga, die freilich noch immer schlappe 200 Euro kostet. Die Nylonfischerhüte von Prada gehören ebenso dazu wie Streichhölzer mit Gucci-Logo, die man im Gucci-Garden-Shop in Florenz erwerben kann. Je größer das Logo, desto besser.

Die gerade kursierende Logo-Sucht passt perfekt in das "Premium Mediocre"-Konzept. Die Luxuslabels profitieren vom Handel mit Accessoires, die zum Großteil in Drittländern hergestellt werden – oft unter kaum besseren Bedingungen als bei der Herstellung der Kopien der Discounter. Die Grenzen sind fließend geworden.

Ihr Geld im wahrsten Sinne verheizen können Fans mit Streichhölzern von Gucci.

Was ist Luxus heute noch? Eine Frage, die sich Labels, aber auch Kunden in Zukunft wohl verstärkt stellen müssen. Die Pseudodemokratisierung der Mode hat zu einem aberwitzigen Konsumverhalten geführt. Deshalb investieren viele Millennials inzwischen lieber in Erlebnisse als in Produkte, tolle Reisen, gutes Essen, Abhängen mit Freunden.

Dem "Premium Mediocre"-Konzept entkommt man dabei freilich auch nicht. Man ist auf erschwinglichen Kreuzfahrten, schläft in einem Airbnb-Palazzo, und postet Hipster-Essen, das vor allem auf Fotos etwas hermacht. Vielleicht würde die simple Erkenntnis helfen, dass wir alle nicht sonderlich individuell sind. Dass es nicht so spannend ist, was wir gerade machen.

Befreiend wäre es allemal, sich als totalen Durchschnitt zu fühlen. Aber halt, das ist ja auch schon wieder ein Trend: Normcore mit Tendenz zum Marie-Kondo-Ausmisten. Nicht einmal unauffällig sein kann man mehr unauffällig. (Karin Cerny, RONDO, 10.5.2019)