"Ich habe zum Fahrrad ein durchaus libidinöses Verhältnis. In meinem Fall handelt es sich konkret um die Begeisterung für Straßenrennräder, von denen ich insgesamt vier besitze. Form, Material und Technik verbinden sich mit dem Rad und werden für mich zu einem Gegenstand mit Fetischcharakter.

Faszinierend ist das Einfache am Objekt. Für ein Mountain- oder Citybike könnte ich nie diese Emotionen entwickeln. Auf dem Foto bin ich übrigens mit meinem Cannondale Super Six EVO zu sehen, das ich schon einige Jahre besitze und in meinem Vorzimmer aufbewahre.

Das Straßenrennrad hat von seinen Features her am wenigsten zu bieten, ist dafür aber am teuersten. Es hat nicht mal ein Licht. Paradox und faszinierend gleichzeitig. Es geht darum, im Einfachsten das Kostbare zu finden, und man kann bei diesem Wechselspiel aus Material, Form, Eleganz und Schönheit durchaus von Weltanschauungen sprechen. Die einen stehen auf alte italienische Stahlrahmen, die anderen fahren auf futuristische Carbonteile ab und können sich kein anderes Rad vorstellen.

Bis zu 8000 Kilometer pro Jahr legt der Philosoph Konrad Paul Liessmann zurück. Seine große Liebe gilt den Rennrädern. Das Fahren mit einem Mountainbike kommt für ihn einer Art "Fremdgehen" gleich.
Foto: Katharina Gossow

Stressige Stadt

In guten Jahren bin ich zwischen 6.000 und 8.000 Kilometer unterwegs, wobei ich niemals auf die Idee käme, zur Arbeit zu radeln oder in der Stadt unterwegs zu sein. Das empfinde ich als stressig und unangenehm. Wien ist ja noch immer keine Stadt für Radfahrer. Leider.

Meine Stammstrecken führen mich über den Wienerwald ins Tullnerfeld oder weit ins Alpenvorland, wenn alles passt, gar ins Waldviertel, und es ist erstaunlich, wie vielen unterschiedlichen Landschaften man dabei begegnet, die man vom Auto aus nie in dieser Form wahrnehmen würde.

Fahrrad zu fahren bedeutet für mich Erholung, Regeneration, Meditation, eine Herausforderung, die Landschaft auf eine einzigartige Weise kennenzulernen. Ich habe über das Radfahren einmal geschrieben: "Erst wenn das Fahrrad weder Transporthilfe noch Verkehrsmittel ist, erst wenn es ganz zu sich gekommen ist und bei sich sein kann, tritt es in einer Reinheit in Erscheinung, die auch nicht durch den Schweiß desjenigen getrübt werden kann, der sich seinen zweckfreien Imperativen überlässt. Und diese lauten: Gleiten, Klettern und: mit höchster Geschwindigkeit Hinabtauchen in die Tiefe des Seins ..."

Radfahrer waren verdächtig

Der Talking-Heads-Sänger David Byrne meinte in seinen "Bicycle Diaries", Fahrradfahren sei schneller als ein Spaziergang, langsamer als ein Zug und meistens etwas höher als eine Person. Das kann ich voll und ganz unterschreiben. Ich werde auch durchaus unrund, wenn ich nicht regelmäßig im Sattel sitzen kann.

Ich betrachte die zunehmende Beliebtheit des Fahrrads in all seinen Facetten als sehr begrüßenswert. Sie müssen sich vorstellen: Als ich begonnen habe, Rennrad zu fahren, war das eine exotische Angelegenheit. Man wurde richtig schräg angeschaut. Radfahrer wurden zu der Klasse gezählt, die sich kein Auto leisten kann, und in Gasthäusern verdächtigt, die Zeche nicht zahlen zu können. Absurd, aber so war das vor 30, 40 Jahren.

Österreich war ein durch und durch automobilisiertes Land. Dass dies aufgebrochen wird und Radfahren gesellschaftsfähig wird, finde ich fein, wobei die Beweggründe wie stets einer Mischung aus Rationalität und modischem Trend entspringen dürften.

Ich werde, egal wie sich das Rad weiterentwickelt, in jedem Fall meinem Rennrad treu bleiben, allein schon wegen der Geschichte mit dem Stürzen. Den einzig wirklich schlimmen Radunfall hatte ich mit einem Mountainbike. Man sollte einfach nicht fremdgehen." (Michael Hausenblas, RONDO, 18.4.2019)