Möglicherweise ist Oumuamua ein interstellarer "Exilant", der in anderen Sternensystemen für die Bildung neuer Exoplaneten sorgt.

Illustration: ESA/Hubble, NASA, ESO, M. Kornmesser

Am 19. Oktober 2017 entdeckten Astronomen mit dem Pan-STARRS-Teleskop auf Hawaii ein äußerst seltsames Objekt in unserem Sonnensystem. 1I /'Oumuamua bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit annähernd senkrecht zur Ekliptik – das alleine ließ bereits den Schluss zu, dass der Brocken von außerhalb des Sonnensystems gekommen sein dürfte. Was Oumuamua noch viel spannender erscheinen ließ, war die Tatsache, dass er im Sommer 2018 an Geschwindigkeit zugelegt hat, und zwar in einer Weise, die sich nicht so einfach mit den ballistischen Einflüssen unseres Planetensystems erklären lässt.

Während einige Forscher als Erklärung dafür außerirdische Intelligenzen ins Spiel brachten, analysierten andere Astronomen die möglichen Konsequenzen von rein natürlichen Hintergründen dieses Ereignisses: Möglicherweise hat ein Gesteinsbrocken aus einem Lichtjahre entfernten Planetensystem ja auch Planeten in unserem Sonnensystem "Starthilfe" gegeben.

Driftende Brocken

Dass dies durchaus plausibel erscheint, zeigt eine neue Studie der Astrophysikerinnen Susanne Pfalzner vom Jülich Supercomputing Centre in Deutschland und Michele Bannister von der Queen’s University Belfast in Nordirland: Die Milchstraße könnte demnach voller driftender interstellarer Objekte wie der Asteroid Omuamua sein

Planetensysteme bilden sich und werfen dann Billionen von winzigen Welten in den interstellaren Raum hinaus, so wie Pusteblumen ihre Samen streuen. Diese driftenden Felsbrocken können als eine Art Keimzellen dienen, aus denen schließlich ganze Planeten entstehen.

Alternative Planetenentstehung

"Nach bestehenden Modellen bilden sich Planeten langsam aus mikrometergroßen Gas- und Feinstaubteilchen in protoplanetaren Scheiben um einen Stern, die sich Millionen von Jahren immer mehr verdichten", erklärt Pfalzner. Doch es gibt auch Beobachtungen, die ein anderes Bild zeichnen. Manche Planeten müssen in weitaus kürzerer Zeit entstanden sein, als es nach dem Standardmodell möglich wäre. Interstellare Objekte wie Oumuamua könnten diese Widersprüche in Einklang bringen.

Die Forscherinnen schätzen, dass es in der Milchstraße, unserer Heimatgalaxie, Quadrillionen (das ist eine ‚1‘ mit 24 Nullen) von Oumuamua-ähnlichen Objekten gibt, in einem Würfel mit einer Kantenlänge von einem Lichtjahr etwa 29 Billionen (eine ‚1‘ mit 12 Nullen). Zum Vergleich: Proxima Centauri, der sonnennächste Stern, ist mehr als vier Lichtjahre entfernt.

Schnelle "Exilanten"

Diese Planetoiden – wahrscheinlich relativ klein, dunkel und schnell – bewegen sich frei im Weltraum, nachdem sie aus der Umlaufbahn um ihre Heimatsterne geworfen wurden. Die interstellaren "Exilanten" könnten eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Planeten spielen, wenn sie von der protoplanetaren Scheibe um einen anderen Stern eingefangen würden.

"Viele dieser Objekte bewegen sich vermutlich zu schnell, um von protoplanetaren Scheiben eingefangen zu werden", erklärt Pfalzner. "Und von denen, die gefangen werden, fallen die meisten wahrscheinlich in den Stern hinein." Dennoch, so berechneten die Astrophysikerinnen, sollte es um jeden Stern mindestens 10 Millionen dieser interstellaren Objekte geben. "Beim Einfangprozess gehen also die meisten verloren. Doch da es so viele dieser Objekte gibt, bleiben am Ende trotzdem noch reichlich von ihnen übrig", erklärt Bannister. "Tausende davon sind wahrscheinlich mehr als einen Kilometer groß. Einige wenige könnten die Größe von Zwergplaneten wie Ceres oder Pluto haben – oder wie unser Mond."

Lösung für ein Planetenbildungsproblem

Mit ihrer Schwerkraft könnten die Planetoiden Materie anziehen – Gas, Staub, kleine Gesteinsbrocken – und so schließlich zu vollwertigen Planeten anwachsen. Dieses Szenario würde das Problem mit der Geschwindigkeit der Planetenbildung lösen. "Nach dem üblichen sogenannten Akkretions-Modell würde es bis zu Zehntausende Jahre dauern, um aus mikroskopischen Staubpartikeln auch nur auf millimeter- oder zentimetergroße Materieteilchen zu kommen", erklärt Bannister. "Die Bildung von erdähnlichen Planeten braucht dann noch einmal viele Millionen Jahre, die von Gasgiganten wie Jupiter sogar noch länger." Dennoch finden sich in jüngeren Sternclustern Planeten, die nur eine Million Jahre alt sind.

"Wenn sich Planeten nicht langsam aus mikrometergroßen Staub- und Gasteilchen aufbauen müssten, würde das ihren Entstehungsprozess enorm beschleunigen", erklärt Pfalzner. "Als die Idee aufkam, war sie so einleuchtend. Ich hoffe, dass viele andere Forscher sie aufgreifen und das Modell testen werden." Dieser Mechanismus würde auch auf sich selbst zurückwirken: Systeme mit mehr Planeten werfen mehr Gesteinsbrocken wie Oumuamua aus, die dann mehr Planeten in anderen Systemen erzeugen: Planetensysteme helfen beim Aufbau von Planetensystemen.

Warum ältere Sterne weniger Planeten besitzen

"Wenn sich unser Modell als richtig herausstellt, würde es auch erklären, warum die ältesten Sterne weniger Planeten haben, als wir es bei neueren Sternsystemen beobachten", so Pfalzner. "Frühe Planetengenerationen wären auf konventionelle Art entstanden – und hätten dann mit ausgeworfenen Oumuamuas die Keimzellen für neue protoplanetare Scheiben geliefert." Die Planetenbildung in der gesamten Galaxie könnte immer mehr zunehmen, da immer mehr verirrte Felsen im Raum herumfliegen. (red, 9.4.2019)