Ob dieser Stormtrooper wohl Gleitzeit beim Polieren hat?

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Arbeitsrechtexperte Martin Risak meint: "Erst kommt die Regulierung, dann kommt die Freiheit."

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"Wie werden wir morgen arbeiten?" lautet die Semesterfrage der Universität Wien, in deren Rahmen auf DER STANDARD Wissenschafter zum Thema zu Wort kommen. Martin Risak, der am Institut für Arbeits- und Sozialrecht arbeitet, reagiert in diesem Beitrag auf ausgewählte Postings der User zu Arbeiten immer und überall – Selbstverwirklichung oder Albtraum? Dabei gibt er einen Einblick in rechtliche Belange zu Themen wie Home Office, Zwölfstundentag oder Rufbereitschaften.

Martin Risak: Problematisch ist eine Dauererreichbarkeit "24/7"deshalb, da das Arbeitszeitgesetz und das Arbeitsruhegesetz für eine sogenannte Rufbereitschaft Häufigkeitsgrenzen vorsieht: Es geht dabei um jene Zeiten, zu denen Arbeitende ihren Aufenthaltsort frei wählen können, aber für ihre Arbeitgeber erreichbar sein müssen. Das ist nur an zehn Tagen pro Monat erlaubt, wobei diese maximal zwei Wochenenden umfassen dürfen. Alles andere ist verboten, und die Arbeitgeber riskieren Verwaltungsstrafen. Man kann das nun zwar einschränkend interpretieren und argumentieren, dass die Gesetzgebung damals die modernen Kommunikationsmittel nicht mitbedacht hat, und auch behaupten, dass eine "freiwillige" Erreichbarkeit davon nicht erfasst sei. Rechtsunsicherheit besteht aber jedenfalls. Und da sollte die Politik aktiv werden.

Risak: Sie sprechen damit die schwierige Frage an, inwieweit es echte Freiheit in einem sozialen und wirtschaftlichen System geben kann, in dem Ressourcen ungleich – und zum Teil sehr ungleich – verteilt sind. Das Ausmaß an Freiheit, das jemand hat, der Millionen geerbt hat, ist eben anders als das einer Person, bei der das nicht der Fall ist. Es geht dabei darum, wer sich eine gute Ausbildung mit Auslandsaufenthalten und unbezahlten Praktika bei internationalen Organisationen leisten kann, und wer früh zu arbeiten beginnt, weil keine Alternativen dazu gesehen werden. Dass das dann nicht unbedingt freiwillig ist, liegt auf der Hand.

Bei der zweiten angesprochenen Problematik geht es um das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Risiko – und die Frage, wie das fair ausbalanciert wird. In vielen Arrangements ist das nicht unbedingt der Fall: Wenn es nur auf das Ergebnis ankommt, dann tragen die Arbeitenden das Risiko, dass sie mehr Stunden brauchen, als ursprünglich veranschlagt, oder dass ihre Arbeit schlicht nicht erfolgreich ist. Es geht somit um das unternehmerische Risiko, dessen Übernahme auch entsprechend honoriert werden sollte. Das ist aber nicht immer der Fall – oft soll lediglich das Risiko des Scheiterns verlagert werden, eine entsprechende Partizipation am Erfolg der Arbeitsleistung ist oft nicht in entsprechender Weise vorgesehen. Ist man sich dieses gar nicht so selten bestehenden Ungleichgewichts bewusst, dann sieht die Einschätzung der Ergebnisverantwortung schon differenzierter aus. Und übrigens kommt es gerade nicht auf die "Leistungswilligkeit" an, wie in dem Post angesprochen, sondern auf das Ergebnis – Geld gibt es ja bei solchen Modellen in der Regel nicht für die Willigkeit, sondern nur für den Erfolg.

Risak: Sehr plastisch werden hier die Rahmenbedingungen angesprochen, unter denen entgrenztes Arbeiten funktionieren kann – oder eben auch nicht. Entgrenzung bedeutet Selbstverantwortung und Selbstorganisation – und das bedingt schlicht Kenntnisse und Wissen darüber, wie man so etwas macht. Und wie das Beispiel auch zeigt, eine entsprechende Vorbereitung – die technischen Möglichkeiten allein reichen nicht aus, sondern es geht vielmehr darum, wie man seine Fähigkeiten und Rahmenbedingungen realistisch einschätzt und die Arbeit (selbst) organisiert. Das ist eine große Herausforderung gegenüber einem traditionellen Arbeitsverhältnis, in dem das vom Arbeitgeber gemacht wird und man sich darüber keine Sorgen macht. In der Praxis wird häufig vergessen, Arbeitende bei der Selbstorganisation zu unterstützen, wie sie einen an ihre Rahmenbedingungen angepassten Weg finden. Nur so wird das entgrenzte Arbeiten zum Erfolg führen. Das kostet zwar Zeit für eine entsprechende Vorbereitung, zahlt sich aber jedenfalls aus.

Risak: Das Posting zeigt, welche Faktoren dafür relevant sind, dass ein Home-Office-Arrangement funktionieren kann: Chefs, die verstehen, dass das nur als faires Geben und Nehmen funktionieren kann; Arbeitende, die sich abgrenzen können und selbstmotiviert sind; funktionierende Kommunikationsinfrastruktur und anderes. Ich würde da noch transparente und ausgewogene, generelle Vereinbarungen anführen, die die Rahmenbedingungen klären.

Risak: Sie sprechen hier einen der Graubereiche an, sozusagen die "dunkle Seite" der Gleitzeit. Freie Zeiteinteilung bedeutet eben auch, dass die Grenze zwischen angeordneter und selbstbestimmter Mehrleistung verschwimmt. Die Gleitzeit kann so auch dafür benutzt werden, Überstunden zu verschleiern und Arbeitende um ihre Zuschläge zu bringen. Dies wurde ja bei der Ausweitung der zuschlagsfreien Normalarbeitszeit auf zwölf Stunden bei Gleitzeit im letzten Sommer heftig diskutiert und hat die Bundesregierung dazu bewegt, hier Maßnahmen vorzusehen: Ganze Zeitausgleichstage bei Arbeit über zehn Stunden – das hat dazu geführt, dass Zwölfstundentage bei Gleitzeit in der Praxis kaum eingeführt wurden. Dazu kommt eine Klarstellung, dass bei angeordneten Arbeitsleistungen von über acht Stunden auch bei der Gleitzeit Überstunden vorliegen und damit Zuschläge von mindestens 50 Prozent anfallen. Das Grundproblem des Arbeitsrechts bleibt aber weiterbestehen, nämlich dass man seine Rechte letztlich geltend machen und sich wehren muss.

Risak: Nach den Schilderungen in dem Posting besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der dort angesprochene Projektmanager dem Arbeitszeitgesetz (AZG) gar nicht unterliegt. Nach Paragraf 1 Abs 2 AZG gilt das Gesetz nämlich nicht für leitende Angestellte oder sonstige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis übertragen ist und deren gesamte Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird oder von diesen Arbeitnehmerinnen beziehungsweise Arbeitnehmern hinsichtlich Lage und Dauer selbst festgelegt werden kann. Seit 1.9.2019 muss man nicht mehr "leitend" sein, und es fallen nach Rechtsansicht der EU-Kommission auch Expertinnen und Experten wie angestellte Rechtsanwälte oder Forscherinnen aus dem Geltungsbereich. Auch hier zeigt sich, dass das Arbeitszeitrecht schon jetzt flexibler ist als gemeinhin angenommen. Aber es ist offensichtlich, dass die rechtliche Situation freilich nicht immer klar und eindeutig ist. (Martin Risak, 11.4.2019)