Die Frau mit dem Rettungsschirm: Karin Bergmann und Thomas Drozda (heute Bundesgeschäftsführer der SPÖ) haben an der Burg schon früh zusammengearbeitet.

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Der Spielplan quillt über, so sehr, als wolle hier jemand neu durchstarten. De facto aber sind es die letzten Wochen von Karin Bergmann als Direktorin des Burgtheaters. 25 Premieren hatte sie sich für ihre letzte Spielzeit vorgenommen, drei 1a-Produktionen stehen noch aus, darunter heute, Mittwochabend, Woyzeck in der Regie von Johan Simons. Nach fünf Jahren übergibt sie im Sommer an Martin Kušej. Wie wird man ihre Ära in Erinnerung behalten? Was waren ihre Stärken, worauf kann sie stolz sein, und was lief schief?

In puncto Integrität und Arbeitseinsatz ist Bergmann sicher schwer einzuholen. "Pflichtbewusstsein" is her middle name. Die Arbeitertochter aus Recklinghausen war stets präsent. Kaum eine Premiere, der sie nicht selbst kräftig applaudierend beiwohnte. Das kam gut an. Bergmann ist korrekt, kommunikativ, und sie war zweifellos die richtige Besetzung, um das Haus nach dem Finanzskandal aus seiner schwersten Krise erfolgreich herauszuführen. Alle Schulden sind beglichen, die Zahlen stimmen wieder.

Künstlerisch im Hintertreffen

Künstlerisch ist das Burgtheater allerdings ins Hintertreffen geraten. Auch andere Häuser haben erstklassige Spieler und vor allem mutigere Spielpläne mit spannenden Herangehensweisen. Das war Bergmanns Sache nicht. Theaterpolitische Diskussionen, wie sie an deutschen Theaterhäusern stattfinden, haben Wien nicht erreicht. Bergmann hat es sich in den ökonomisch schwierigen Jahren vor allem zur Aufgabe gemacht, das Publikum bei der Stange zu halten und Vertrauen herzustellen. Das ist ihr gelungen. Kaum jemand kennt das Burgtheater so gut wie sie, die mit Unterbrechungen seit 1986 im Haus am Ring arbeitet; begonnen hatte sie als Pressesprecherin von Claus Peymann.

Das für österreichische Verhältnisse wohl revolutionärste Unterfangen ihrer Ära war die Neudichtung des Jedermann, eine Idee Bergmanns, auf die erstaunlicherweise niemand vor ihr gekommen war. Die Sache ging mit jedermann (stirbt) von Ferdinand Schmalz voll auf, auch wenn Stefan Bachmanns Inszenierung keine hohen Wellen schlug.

Wenn man drei Tophäuser des deutschen Sprachraums nennen möchte, dann ist das Burgtheater heute aber nicht darunter; künstlerisch florierende Bühnen sind die Münchner Kammerspiele oder das Theater Basel. Hier werden neue ästhetische Handschriften entdeckt und gepflegt. Dennoch durfte sich das Burgtheater 2015 "Theater des Jahres" nennen, weil es den erlittenen Imageschaden erfolgreich weggesteckt hatte: Bergmanns Verdienst.

It-Regisseure übersehen

Was aber wurde verabsäumt? Vor allem hat das Burgtheater wesentliche Stilrichtungen der letzten Jahre übersehen. It-Regisseure wie Ersan Mondtag, Thom Luz, Susanne Kennedy oder Ulrich Rasche haben noch keinen Fuß auf Ringstraßenboden gesetzt. Kušej wird also leicht punkten können, hat er doch am Residenztheater Ulrich Rasche schon in der Tasche. Bergmann hat hingegen einigen bewährten Regiehaudegen ein spätes Burgdebüt ermöglicht: Johan Simons, Herbert Fritsch, Luk Perceval und Jette Steckel. Superstar Simon Stone kam mit den Festwochen bzw. mit dem Theater Basel ins Haus geweht.

Das Burgtheater war nie eine Theoriehochburg, aber um Repräsentationsfragen kommt auch ein Haus wie dieses nicht umhin. Zwar können auch große Bühnen in Deutschland in Sachen Diversität nicht prahlen, aber so unbehelligt rassistisch, wie im Akademietheater der Flüchtlingsboulevard Willkommen bei den Hartmanns ablief (2017) – das zeugte doch von ausgeprägtem Desinteresse für aktuelle Fragen in den darstellenden Künsten.

Das sehr homogene Ensemble weist indes seine Lücken auf; es wird mit Stargästen aufpoliert, mit Martin Wuttke, Sven-Eric Bechtolf oder August Diehl. Sich an ein Haus zu ketten, das ist für viele nicht mehr attraktiv. Besonders jüngere Schauspielerinnen und Schauspieler zog es von der Burg schnell wieder weg, siehe Stefanie Reinsperger, Jasna Fritzi Bauer oder Daniel Sträßer. Darüber hatte sich Bergmann selbst einmal verwundert gezeigt. Es mag mehrere Gründe geben, aber der zaghafte Spielplan könnte einer davon sein.

Schlechte Frauenquote

Bergmann hat sich auch bei der Frauenquote keine Lorbeeren verdient. Während viele Häuser aktiv mehr Autorinnen und Regisseurinnen ansprechen, sieht der Burgtheater-Spielplan aus wie vor zwanzig Jahren. In Bergmanns Ära haben gezählte 79 Regisseure und 28 Regisseurinnen am Haus inszeniert, Letztere meist ins Vestibül gezwängt. Noch drastischer ist das Gefälle bei den Autoren: 91 Autoren, 16 Autorinnen.

Karin Bergmann wird als erste Burgtheaterdirektorin in die Geschichte eingehen und als eine Intendantin in Erinnerung bleiben, die das Haus erfolgreich (Auslastung aktuell 83 Prozent) konsolidiert, aber zu wenig gegen künstlerische Stagnation unternommen hat. Neben raren Höhepunkten wie etwa Die Welt im Rücken mit Joachim Meyerhoff stehen viele mediokre Arbeiten, die Bergmann gutmütig gewährt hat, man denke nur an das "Familienunternehmen" Coriolan (mit Elisabeth Orth, deren Sohn Cornelius Obonya und dessen regieführender Gattin Carolin Pienkos). Ob ein harter Durchgreifer wie Martin Kušej mehr Profil gewinnen kann, werden wir sehen.


Die Ära Bergmann in Zahlen

  • Die größten Hits

1.) "Die lächerliche Finsternis"

2.) "Die Welt im Rücken"

3.) "Hotel Strindberg"

  • Die größten Flops

1.) "Coriolan"

2.) "Willkommen bei den Hartmanns"

3.) "Hotel Europa oder der Antichrist"

  • Die Frauenquote

Regie: 28 Regisseurinnen, 79 Regisseure

Autorschaft: 16 Autorinnen, 91 Autoren

  • Die Premieren: Es werden am Ende der Spielzeit 107 Premieren gewesen sein, davon 41 Ur- und Erstaufführungen. Das ergibt eine Summe von 4153 Vorstellungen.

  • Das Publikum: Seit 2014 werden 1.975.000 Menschen Vorstellungen besucht haben.

(Margarete Affenzeller, 10.4.2019)