Experten wie es sie im Sport gibt, sollten auch junge Tänzerinnen und Tänzer begleiten.

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Jede Krise ist eine Chance zur Veränderung. Dass dies auch für die Ballettakademie gilt, machen zwei der herausragenden Wiener Ballettexperten deutlich: Andrea Amort und Gregor Hatala. Amort, Ex-Kritikerin und heute eine der führenden Tanzhistorikerinnen Österreichs, hat selbst eine Tanzausbildung und promovierte über das Ballett der Wiener Staatsoper. Hatala kommt aus einer Ballettfamilie, hat an der Wiener Tanzakademie studiert und war als erster Solotänzer ein Star des Wiener Staatsballetts.

Wie kann es in Zukunft weitergehen mit der Spitzentanzausbildung in Wien? "Erst muss überlegt werden, welches Tänzerinnenbild für das 21. Jahrhundert man als Ausbildungsstätte anstrebt", sagt Amort. "Das ist die wesentlichste Frage überhaupt." Wobei der Status der Wiener Akademie kein leichter ist: "Sie hat innerhalb des Gebildes der Staatsoper nicht denselben Stellenwert wie die Ballettschule in Paris, London oder Hamburg. Daher besitzt sie auch nicht die Möglichkeiten vergleichbarer Schulen."

"Unser Balletttraining hat sich in den vergangenen hundert Jahren nicht wirklich weiterentwickelt", stellt Gregor Hatala fest. "Wenn man vergleicht, wie die Begleitung im Sport aussieht, Physiotherapie, Masseure, Ernährungsberatung bis hin zu individuellen Leistungsplänen – so etwas gibt es bei uns Tänzern überhaupt nicht." Die technischen Anforderungen allerdings haben sich gesteigert, "wodurch die körperlichen Belastungen für die Tänzer heute wesentlich höher sind als noch vor einigen Jahren".

Es müsse sich vieles ändern, betont Hatala: "Mit einer neuen oder aktualisierten Form des Trainings wären noch dazu bessere Ergebnisse zu erzielen." Eine Patentlösung habe er allerdings auch nicht. Dass in einer Ballettakademie von heute ein Unterricht ohne Drill möglich ist, hält Andrea Amort für absolut realistisch: "Es braucht mehr Zeit für den einzelnen Menschen, mehr Zuwendung und kleine Klassen. Außerdem soll eine Ballettausbildung ja auch eine geistige Schulung sein." Und kritisch fügt sie an: "Die heutige Vorstellung von anorektischen Tänzerinnenkörpern ist zur fixen Idee geworden."

Wiener Stil mit russischer Basis

Mit dem klassischen Tanz hat diese Idee nichts zu tun, zeigt sich die Historikerin überzeugt. Die Ausbildung von "Ensembles, die fast wie im Militär dahergekommen", stamme eigentlich aus dem Ballett der ehemaligen Sowjetunion. Und die Russische Schule sei nach 1945 "über Jahrzehnte als das einzig Wahre gepriesen worden, obwohl man wusste, dass da vieles nicht gut läuft".

Gregor Hatala wurde, wie er berichtet, an der Ballettakademie in einem "Wiener Stil mit russischer Basis" ausgebildet. Mit "extremem Drill", unterstreicht er, sei er absolut nicht einverstanden. "Man muss schon Disziplin einfordern, aber der Wille zu diesem Beruf muss auch von den Kindern kommen." Die Ausbildung sollte, meint der Tänzer wie auch die Historikerin, "wesentlich umfangreicher sein, als sie jetzt ist". Zumindest moderne Trainingstechniken wie Pilates oder Gyrotonic sollten dabei sein. Für eine wesentlich komplexere Ausbildung als heute üblich sei er deshalb, weil "viele Schüler ja nicht ausschließlich die Laufbahn des klassischen Tänzers einschlagen".

Internationale Vorbilder

Um einen neuen Ansatz für die Akademie zu finden, könnte man sich "verschiedene führende Schulen anschauen", etwa die in London, Moskau oder Paris: "Welche Möglichkeiten werden den Schülern dort angeboten, auch abseits der Bühne, hinsichtlich Verletzungsvorsorge und dergleichen?" Dann müsse sich die Schule klarmachen, wohin sie wolle, und dafür die geeignetsten An gebote verwenden. Wichtig sei die Auswahl der Unterrichtenden: "Für gute Lehrer braucht man halt auch die finanziellen Mittel." (Helmut Ploebst, 10.4.2019)