In Wien geboren, in Belgrad aufgewachsen, jetzt in Salzburg: Marko Marko Dinić, Jahrgang 1988


Foto: Leonhard Pill / Zsolnay

Es ist ein Narrenschiff auf Rädern, das sich in Marko Dinićs Debütroman Die guten Tage von Wien via Budapest Richtung Belgrad schleppt. Als gemächliche Fahrt könnte man den Trip indes nicht bezeichnen. Trotz der Anwesenheit einiger Familien geht es hoch her an Bord des Busses, in dem die serbische Diaspora auf Heimatbesuch fährt.

Jausenpakete und Schnapsflaschen werden geleert, Fotos von neuen Häusern in der alten Heimat herumgezeigt, auch über die Härte des Lebens wird geklagt. Die Luft im Bus ist dabei nicht die beste (Grundnote Šljivo und Marille), es wird um die Wette geraucht, und bald versammelt sich "eine testosterongeladene Horde Halbstarker um den Fahrer wie um ein Wasserloch. Es wird geflucht, gegrölt und gegen Kroaten oder Muslime oder Amerikaner oder Österreicher oder Politiker gewettert."

Mitten im Inferno

Mittendrin in diesem Inferno: Ein Ich-Erzähler, der kurz nach der Matura und den Nato-Bombardements Belgrad verließ, um in Wien das Fürchten zu lernen – und das Unverständnis der Kaufkräftigen zu ernten. Für ihn scheint der Bus nicht nur ein "Abziehbild des ehemaligen Jugoslawien" zu sein, sondern nun, zehn Jahre später, auch eine Metapher dafür, dass sich nichts verändert hat. Wie jeder Ich-Erzähler ist allerdings auch Dinićs "Held" ein eher unsicherer Kantonist. Schnell merkt man, dass er Rechnungen offen hat, die ihm eventuell den Blick trüben. Rechnungen mit Serbien, seinem Vater – und mit sich selbst.

Es ist ein harter Einstieg, den Dinić seinem Debüt gönnt, er belehrt damit jene eines Besseren, die der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur mangelnde Wildheit und Blutarmut attestieren. Man staunt beim Lesen der ersten Seiten des Buches und fragt sich: Wird der Autor das Tempo durchhalten? Er wird.

Zwei Jahre ist es her, dass der 1988 in Wien geborene Autor, der Kindheit und Jugend in Belgrad verbrachte, bevor er in Salzburg Germanistik und jüdische Kulturgeschichte studierte, beim Bachmannpreis las. Und zwar eine Passage aus Die guten Tage. Sie deutete die Konturen des nun vorliegenden Romans aber nur an, denn es handelte sich dabei um Impressionen aus einer Belgrader Jugend während der Bombardierung der Stadt im Jahr 1999.

Schweinsgesichtige Politiker

Die im Gegensatz zum übrigen Roman im Präsens gehaltenen Jugendpassagen, die den Roman durchziehen, handeln von Indok trinierung und Nationalismus, vom Duckmäusertum des Vaters sowie von kiffenden Jugendlichen, die froh sind, dass im Krieg die Schulen geschlossen blieben. Ihrer Freude geben sie unter anderem im Schwimmbad Ausdruck, auf dessen Sprungturm sie den heranfliegenden Nato-Jets den Allerwertesten zeigen.

Diese Jugendimpressionen ergänzen und konterkarieren die Gegenwartsebene des Romans, die vom Leben des Erzählers in Wien und besagter Busfahrt handelt. Auch in Österreich haben ihn die Bilder von damals nicht losge lassen. Bilder von Schulfreunden, dem "schweinsgesichtigen Milošević" und vor allem von der Großmutter, die ihm mit ihrem Ersparten den Absprung erst ermöglichte. Sie ist gestorben. Deshalb setzt sich der Erzähler in den Bus, um sie – möge ihr die Erde leicht sein – zu beerdigen. Vielleicht fährt er auch, um Antworten auf Fragen zu finden, die nie gestellt werden. Nach Srebrenica, nach dem KZ Sajmište im Zweiten Weltkrieg oder nach den "falschen Vätern", die in den 1990ern kriegslüstern loszogen und, falls sie zurückkehrten, "den Krieg mit nach Hause" gebracht haben.

Showdown in Belgrad

Dinić ist ein präziser Stilist, fein weiß er trotz des berserkerhaften Wütens des Erzählers gegen Vater, Tod, Familie und Totalitarismus die Atmosphäre immer wieder auszutarieren, indem er der Wut Sanftheit entgegenstellt, der Kraft Zerbrechlichkeit und dem Realen das Fantastische. Letzteres begleitet den Roman in Form eines seltsamen älteren Möchtegernschriftstellers, mit dem der Erzähler bereits im Bus konfrontiert wird. Die Geschichten des jungen und des alten Mannes gleichen einander. Spät erst wird der Erzähler dieses Alter Ego und somit den, der er nicht werden will, in einem Showdown in Belgrad los.

Es stecken viel Historie, Zerfall und menschliche Unbelehrbarkeit in diesem Buch. Wie jede Literatur, wenn sie gut ist, verweist es vom Besonderen und vermeintlich Vergangenen auf das Allgemeine und Gegenwärtige, etwa auf die europäischen Chauvinismen der Jetztzeit. Marko Dinić hat mit Die guten Tage einen intensiven und entschlossenen Debütroman geschrieben. Stark. (Stefan Gmünder, 11.4.2019)