Kompromisslose Arbeit für die Kunst: Christo.

Foto: Thimfilm

Christo ist aus dem Häuschen. Fast tänzelnd bewegt sich der über Achtzigjährige auf den Pontons, kleinen schwimmenden Inselchen auf dem Iseosee. Er strahlt. "Schau! Schau! Wie Stoff!" Verzückt lenkt Christo immer und immer wieder die Aufmerksamkeit auf die sanft in den Wellen wogenden Ponton-Teppiche.

Doch bis die Inselchen auf dem norditalienischen See sich zu drei Kilometer langen, mit Tonnen von leuchtend safrangelbem Stoff bedeckten Stegen – den Floating Piers - ausgewachsen haben, wird noch mehr als ein Monat verstreichen. 39 Tage genau, bis abertausende Menschen, angelockt von Christos Verheißung, "über das Wasser zu gehen", ins lombardische Örtchen Sulzano pilgern. 39 Tage, die an die Substanz aller gehen, Nerven kosten.

Die Presse und der Superstar: Christo auf den "Floating Piers".
Foto: Thimfilm

Christo duldet keine Kompromisse bei der Realisierung seiner gigantischen Projekte. Nur in raren Momenten huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Dann, wenn er sich für Augenblicke seinem Traum ganz nahe wähnt. Ein Traum, der schon 1970, also fast ein halbes Jahrhundert zuvor, in Argentinien Wirklichkeit werden sollte. Und zerplatzte.

Christo – Walking on Water heißt die aus rund 600 Stunden Material montierte Dokumentation über die Herausforderungen des gigantischen Projekts – über Technik, Logistik und die Mühlen der italienischen Bürokratie. Beinahe drei Jahre nach der Aktion, die insgesamt mehr als 1,2 Millionen Besucher anlockte, kommt der Film nun in die Kinos. Christo, inzwischen 83, arbeitet längst mit Feuereifer an nächsten Projekten: Als "Teufel der Kunst" beschrieb er erst kürzlich den Drang und den Genuss, immer Neues zu machen.

Alamode Film

Gerade wurde bekannt, dass er nächsten April in Paris den Arc de Triomphe in Paris verhüllen wird: In 25.000 Quadratmeter silbrigblauen Stoff will er das Wahrzeichen hüllen und mit 7000 Metern roter Kordel verschnüren. In Paris hat Christo gemeinsam mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Jeanne-Claude schon einmal ein symbolträchtiges Bauwerk verpackt: 1985 verschwand der Pont Neuf hinter goldenem Schimmer.

Ehrgeizig waren die Projekte von Christo und Jeanne-Claude schon immer. 1969 verhüllten 130 Helfer in 17.000 Arbeitsstunden einen Küstenstreifen in Australien. Wahnwitzig der Aufwand 1972 bei Valley Curtain. Der 18.600 Quadratmeter große Vorhang der ein 400 Meter breites Tal der Rocky Mountains durchspannte, hing – aufgrund aufkommenden Sturms – allerdings nur 28 Stunden. 1995 verhüllten sie in einer spektakulären Aktion den Berliner Reichstag. 2005 installierten sie in New Yorks Central Park 7500 stoffbehängte Tore (The Gates).

Ohne große Worte

Von alten Projekten erzählt der Regisseur Andrey Paounov in Christo – Walking on Water nicht. Manches könnte aber Christos nervöse Ungeduld, sein stures Beharren, Ausbrüche ebenso wie sorgenvolles Verstummen erklären. Etwa als er fürchtet, über den See streichende Böen könnten auffrischen und den Stoff ins Wasser reißen: 1971, beim ersten Versuch die Valley Curtains zu installieren, wurden sie von Wind und Felsen zerfetzt. Oder als die Sorge um die Sicherheit überhandnimmt, weil viel mehr Menschen als kalkuliert die Floating Piers stürmen: 1991 kam beim Projekt The Umbrellas ein Arbeiter bei der Montage der Schirme ums Leben.

51 Jahre ist es her: Christo and Jeanne-Claudes "5,600 Cubicmeter Package" bei der Documenta im Jahr 1968
KunstSpektrum

Wortlastig ist der Film nicht. Christo verliert sich nicht in elaborierten Philosophien. Er liebt die "echten Dinge", sagt er. Wind. Sonne. Feuchtigkeit. Trockenheit. Und um die "echten Dinge" geht es auch in seiner Kunstinszenierungen der Umwelt, die zur Erfahrung mit allen Sinnen einladen. Atmosphärisches wird daher auch im Film großgeschrieben, addiert sich jedoch zu 104 manchmal sehr langsam – zu langsam – vergehenden Minuten.

Der Andrang war phänomenal. Es kamen anfänglich mehr als die "Floating Piers" verkraften konnten.
Foto: Thimfilm

Es bleibt also viel Zeit, Christo zu beobachten – und den stillen, konzentrierten Arbeiter hinter dem gefeierten Superstar zu erkennen: Christo, der in seinem Atelier in New York noch die riesigen Leinwände allein herumwuchtet. Oder Christo, der in der Wüste von Abu Dhabi auf allen vieren im Sand herumkrabbelt. Noch ist es ein kleines Modell, das er dort in Szene setzt. Sollte er Mastaba aus 410.000 Ölfässern, eine Idee von 1977, allerdings realisieren, sie wäre die größte Skulptur der Welt. (Anne Katrin Feßler, 11.4.2019)