Nicht aufgeklärte Naturbeherrschung, sondern eine Unterwerfung unter die Natur ist für den freien Journalisten Nico Hoppe die Botschaft der gegenwärtigen Klimaproteste. Die Natur über den Menschen zu stellen ist keine Alternative. Im Gastkommentar widmet er sich dem ökologischen Zeitgeist.

Jeden Freitag ziehen tausende Schülerinnen und Schüler unter dem Motto "Fridays for Future" durch dutzende Städte, um gegen die gegenwärtige Klimapolitik zu demonstrieren. Das hat auch eine Debatte über umweltbewussten Konsum zur Folge. So fragte jüngst die Tagesschau wie jedes große Feuilleton: "Was kann der Einzelne tun?"

Im Spiegel-Interview gab Klima-Ikone Greta Thunberg an, dass sie es nicht verstehen könne, "wenn Leute einerseits sagen, dass Klimawandel eine existenzielle Bedrohung ist – und dann andererseits einfach so weiterleben wie immer: fliegen, Fleisch essen, Auto fahren." Passend dazu pflichtete ihr der Freitag ("Hört endlich auf zu fliegen!") bei, noch extremer die Band "Die Ärzte" auf ihrer neuen Single: "Los komm, wir sterben endlich aus / Denn das ist besser für die Welt (...) / Los komm, wir sterben endlich aus / Was Besseres kann der Erde nicht passieren."

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Ökologischer Zeitgeist

Während persönlicher Verzicht auf moderne Errungenschaften einigen Menschen als dringend notwendiges Allheilmittel gegen den Klimawandel erscheint, gehen andere also gleich weiter und besingen das Aussterben der Menschheit unter positiven Vorzeichen. Das ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines ökologischen Zeitgeistes, der sich von der Idee des technischen Fortschritts ohne strenge Reglementierung des individuellen Alltags weitgehend verabschiedet hat.

Dass "Fridays for Future" den pathetischen Esprit ihres Wirkens vor allem aus der alarmistischen Konstruktion einer baldigen, Panik erzeugenden Apokalypse zieht, ist ein willkommener Vorwand, um unverzügliche Praktiken einzufordern, die bei ihrer Umsetzung im besten Falle lästige Zumutungen, im schlimmsten Falle unmachbare und für viele Menschen auch unbezahlbare Einschränkungen persönlicher Mobilität bedeuten würden.

Wer ist das Problem?

Gutheißen kann das nur, wer die Befriedigung seines ökologischen Gewissens für essenzieller als individuelles Glück hält, was die Umdeutung von radikalen Eingriffen ins Privatleben zu gebotenen Maßnahmen erst möglich macht.

Wer da nicht eifrig mit anpackt, wird schnell als moralisch fragwürdig abgekanzelt oder grobschlächtig an den Pranger gestellt. So sind Plakate mit Aufschriften wie "Wer Umweltprobleme nicht ernst nimmt, ist selber eines" auf den hiesigen Umweltdemos keine Seltenheit.

Parallel dazu avanciert die vorgebliche Weisheit "Die Natur lässt nicht mit sich verhandeln", mit der der Astrophysiker und selbsternannte Naturphilosoph Harald Lesch zwischen Talkshows und grünen Parteitagen herumtingelt, zum unhinterfragten Gebot einer Bewegung, die die Natur als belebte und reine "Mutter Natur" imaginiert.

Den Planeten zu retten fordert diese Schülerin bei einer "Fridays for Future"-Demonstration in Brüssel. Die Bewegung erklärt die Natur zum Maß aller Dinge, nicht das Individuum.
Foto: APA / AFP / Emmanuel Dunand

Das Maß aller Dinge

Dabei lässt sich an einem konkreten Beispiel zeigen, dass man schon einmal weiter war: Zu den Ideen der Aufklärung gehörte es auch, den individuellen Menschen als Maß aller Dinge zu sehen – nicht irgendein Kollektiv, Gott oder die als belebt vorgestellte Erde, der man sich unterzuordnen hätte.

"Immer wenn Natur zum obersten Prinzip erhoben wird und zur Waffe des Denkens gegen das Denken, gegen die Zivilisation, wird das Denken zu einer Art Heuchelei", schrieb Max Horkheimer. Mit dem Philosophen Theodor W. Adorno formulierte er bereits 1944, dass die Emanzipation des Menschen grundlegend damit begann, dass dieser sich vom blinden Naturzwang befreite. Sie führten aus, dass sich daraus folgend jedoch eine neue Art Herrschaft; ein apersonales System, aus dem der Mensch nicht entfliehen könne, bilde: "Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben."

Aufklärung über Aufklärung

Adorno und Horkheimer blieb nur die Aufgabe, in theoretischer Form Aufklärung über die Aufklärung selbst zu leisten, damit sie sich einmal aus ihren eigens geschaffenen Fesseln befreien werde – den gegenwärtigen Zustand also transzendiert und nicht in die Naturverfallenheit zurückkehrt.

Im Verfechten von Beschränkung und Askese stehen große Teile der Klimaschutzbewegung dieser Idee diametral entgegen. Die Naturbeherrschung soll nicht im dialektischen Sinne aufgehoben und auf höherer Stufe überwunden werden; stattdessen soll Verzicht auf persönliche Freiheit die Lösung sein.

Die Erde im Auge haben, auf persönliche Freiheit verzichten?
Foto: APA/AFP/dpa/CHRISTOPH SOEDER

Kein Kind mehr?

In einem solchen geistigen Klima können auch Philosophien wie der Antinatalismus an Einfluss gewinnen: Folgt man diesem, ist das Leben eine rudimentäre Abfolge von Leid, weswegen überhaupt nicht geboren zu werden die vorzuziehende Möglichkeit wäre. Moralisch vertretbar wäre es demnach nur, keine Kinder zu bekommen und den Untergang der Menschheit herbeizusehnen.

Erst kürzlich brachte die Autorin Verena Brunschweiger mit dem Satz "Ein Kind ist das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann" unfreiwillig den Wahnsinn auf den Punkt, der beginnt, wenn Natur an sich mehr Wert zukommt als dem einzelnen Menschen. Wenn sich die Ökologie darauf herabgewirtschaftet hat, dass die Umwelt vor der Menschheit zu schützen sei, verkommt der Mensch zum Parasiten, der sich am harmonischen Gleichgewicht der Erde vergangen habe.

Die Erde "vor unserer Zerstörung schützen", fordert diese Demonstrantin in Chile.
Foto: APA/AFP/MARTIN BERNETTI

Es spricht nicht für die Klimaproteste, dass Misanthropie, Untergangsvisionen und unverhohlene Zivilisationsfeindschaft in ihnen unwidersprochen aufkeimen können. (Nico Hoppe, 12.4.2019)