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Julian Assange auf dem Weg zum Gericht im Londoner Stadtteil Westminster, wo er am Donnerstag einvernommen wurde.

Foto: reuters/nicholls

Kommt Julian Assange in Straf- oder Auslieferungshaft? Nachdem die Londoner Polizei den selbstgewählten, fast sieben Jahre währenden Hausarrest des Wikileaks-Gründers am Donnerstagvormittag mit Einverständnis Ecuadors hatte beenden können, war das weitere Schicksal des 47-Jährigen zunächst ungewiss. Bis zu einer Vorführung vor dem Magistratsgericht von Westminster bleibt der stark gealtert wirkende Australier in Polizeigewahrsam. "In unserem Land steht niemand über dem Gesetz", sagte Premierministerin Theresa May im Unterhaus und dankte Ecuador für die Zusammenarbeit.

Ein halbes Dutzend Polizisten in Zivil, unterstützt von uniformierten Beamten, zerrten den halbherzig Widerstand leistenden Assange gegen neun Uhr aus dem Westlondoner Gebäude gleich hinter dem Nobelkaufhaus Harrods, wo er seit Herbst 2012 in der Botschaft Ecuadors gelebt hatte. Ein einsamer Unterstützer rief mehrmals "Ihr müsst Widerstand leisten", wobei unklar blieb, an wen sich der Appell richtete.

Schon schuldig gesprochen

Scotland Yard teilte später mit, man habe den Australier zunächst wegen des ursprünglichen, von Schweden 2012 beantragten Auslieferungsverfahrens festgenommen. In diesem Verfahren droht dem Delinquenten Haft von bis zu einem Jahr. Später wurde gegen Assange zusätzlich ein US-Auslieferungshaftbefehl ausgestellt. Dieser lautet auf Hacking. In einer anderen Frage wurde Assange gleich nach seiner Festnahme bei der ersten Vorführung vor Gericht schuldig gesprochen: wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen. Dafür drohen ihm mehrere Monate Haft.

Die US-Justiz hält den Australier außerdem für den Anstifter zu Chelsea Mannings Geheimnisverrat, für den die frühere Soldatin sieben Jahre einer 35-jährigen Gefängnisstrafe verbüßte. Manning hatte die 250.000 diplomatischen Akten kopiert, die nach ihrer Veröffentlichung durch Wikileaks im November 2010 weltweit für Aufregung sorgten. Seit vergangenem Juli gibt es im Zusammenhang mit der Untersuchung russischer Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl 2016 offenbar eine zusätzliche Anklage.

Das Botschaftspersonal des lateinamerikanischen Staates und sein Gast lagen sich seit längerer Zeit immer wieder in den Haaren darüber, wie man das Zusammenleben auf engem Raum gestalten könne. Assange lege "aggressives und unverschämtes Verhalten" an den Tag, hieß es von Botschaftsseite; der Australier beklagte sich über Einschränkungen bei Besuchen und beim Internetzugang.

Man sei jetzt "an die Grenze" des erträglichen Verhaltens geraten, teilte Ecuadors Präsident Lenín Moreno am Donnerstag mit. Anders als mit Assange vereinbart habe dieser seine Verbindung zu Wikileaks aufrechterhalten.

Wikileaks wies auf Dutzende von Journalismuspreisen hin, die der Co-Gründer der Organisation über die Jahre gewonnen hat. "Mächtige Akteure", darunter der US-Geheimdienst CIA, seien daran interessiert, Assange seine Menschlichkeit abzusprechen und ihn dauerhaft wegzusperren.

Ähnlich wie 2012, als Assange schließlich vor dem Londoner Supreme Court scheiterte, dürfte der Netzaktivist auch diesmal bis zur letzten Instanz gegen seine Auslieferung kämpfen. Allerdings haben sich viele einstige Weggefährten vom früheren Wikileaks-Boss abgewandt, nicht zuletzt wegen der gezielten Leaks im US-Präsidentschaftswahlkampf, die Hillary Clintons Kampagne immer wieder Schaden zufügten.

Obama fürchtete Vorbildfall

Bis Donnerstag war unter Verschluss geblieben, was man dem Australier in den USA genau vorwirft. Nach der Verhaftung gab das Gericht die Akte frei: Anstiftung zum Hacking. Auch soll er Manning geholfen haben, ein Passwort zu knacken. Dies, so die Anklage, habe es ihr ermöglicht, sich unter einem anderen Benutzernamen ins Computernetzwerk des Pentagons einzuloggen und Spuren zu verwischen. Es waren unter anderem 250.000 diplomatische Depeschen aus dem Fundus des State Department, die Wikileaks damals, 2010, veröffentlichte.

Wie hoch die Strafe ist, die Assange in den USA droht, bleibt einstweilen offen. Unklar ist momentan auch, ob der bereits vor 13 Monaten verfassten Klageschrift weitere folgen werden. Die Idee einer Klage wegen Spionage ließen die Berater von Ex-Präsident Barack Obama jedenfalls schon 2013 wieder fallen. Ratio: Investigativen Journalisten könnte künftig der Vorwurf gemacht werden, dass sie eine Straftat begehen, wenn sie nur ihren Job machen. Für den Moment scheint es das Justizressort Donald Trumps ähnlich zu sehen.

Trump selbst behauptete am Donnerstag, mit Wikileaks nicht vertraut zu sein. "Ich weiß nichts über Wikileaks. Das ist nicht meine Angelegenheit", sagte Trump am Donnerstag im Weißen Haus in Washington auf Fragen von Journalisten.

Er habe gehört, was mit Assange passiert sei, und es sei nun an US-Justizminister William Barr, eine Festlegung zu treffen. Auf Nachfragen erklärte Trump, er habe zu dem Fall keine Meinung. Während des Präsidentschaftswahlkampfes 2016 hatte der Republikaner Wikileaks gelobt und erklärt, er liebe die Organisation. (Sebastian Borger aus London und Frank Herrmann aus Washington, red, 11.4.2019)