Der Fall Julian Assange entzieht sich einer klaren Zuordnung zwischen Gut und Böse. Mit Wikileaks hat der rebellische Australier dem Prinzip der Transparenz weltweit zum Durchbruch verholfen und zahlreiche Skandale offengelegt. Nicht jedes gehackte Dokument, das von Wikileaks veröffentlicht wurde, hätte unbedingt das Licht der Welt erblicken müssen – so etwa die Masse an vertraulichen E-Mails zwischen US-Diplomaten, die 2011 als Cablegate bekannt wurden. Aber Videos über brutale US-Militäraktionen und Dateien über Menschenrechtsverletzungen im Gefangenenlager Guantánamo trugen dazu bei, die dunkle Seite des amerikanischen "Kriegs gegen den Terror" bekanntzumachen.

Doch Assanges autoritärer Führungsstil wurde über die Jahre auch von Mitstreitern immer heftiger kritisiert, und durch die Komplizenschaft bei der russischen Einmischung in den US-Präsidentenwahlkampf zugunsten von Donald Trump hat Wikileaks enormen Schaden angerichtet. Die Vergewaltigungsvorwürfe, die 2012 in Schweden gegen ihn erhoben wurden, hätten dort gerichtlich geklärt werden sollen. Stattdessen flüchtete er in Ecuadors Botschaft in London, nutzte den Antiamerikanismus der dortigen Regierung und machte sich sieben Jahre lang selbst zum Gefangenen.

Kein fairer Prozess

Dass Schweden ihn damals an die amerikanische Justiz ausgehändigt hätte, ist unwahrscheinlich. Nun aber droht ihm sehr wohl eine Auslieferung an die USA, wo sich Trump kaum für die indirekte Wahlkampfhilfe dankbar zeigen wird.

Davon sollten die britischen Behörden Abstand nehmen. Ob Assange in den USA einen fairen Prozess nach europäischen Maßstäben erwarten kann, ist zumindest fraglich. Zu groß ist die seit Jahren aufgestaute Wut über die peinlichen Enthüllungen durch Wikileaks. Das hat die Whistleblowerin Chelsea Manning, die ihm einst als US-Soldatin die Dokumente über den Irak geliefert hat, durch ihre jahrelange Haft zu spüren bekommen. Und auch wenn die Vorwürfe der US-Justiz gegen Assange derzeit limitiert sind, wäre eine Verurteilung des Wikileaks-Gründers auch ein Schlag gegen die Pressefreiheit.

Aber Assange ist nicht die Lichtgestalt, als die ihn viele darstellen, sondern Teil jener Kräfte, die heute an der Zerstörung der liberalen Demokratie arbeiten. Er verdient Fairness, aber keine Bewunderung. (Eric Frey, 11.4.2019)