Georg Zimmermann ist mittlerweile Übungsleiter und hilft professionell beim Klettern lernen.

Foto: Miteinander am Berg

"He, nicht schummeln!" Mohssen, der, von einem Zweiten gesichert, gerade eine Kletterwand mit Überhang besteigt, erntet kritische Blicke von unten. Er hat eine bestimmte Route gewählt, und darf jetzt nur die roten Tritte und Griffe verwenden, um es an der Wand bis ganz nach oben zu schaffen. An einer schwierigen Stelle hält Mohssen sich auch an einem gelben Griff fest, um nicht ins Seil zu fallen – deshalb der strenge Zuruf von unten. Er wird von einem Schmunzeln begleitet.

Mohssen ist einer der rund 25 Geflüchteten, die heute zum integrativen Sportkletterkurs des Vereins "Miteinander am Berg" in die Kletterhallte Wien im 22. Bezirk gekommen sind. Alle zwei Wochen findet der Kurs statt, Mohssen geht meistens hin. Erfahren hatte er von dem Kurs über Freunde, aber auch die Flüchtlingshilfe der Diakonie und die Caritas informieren über das Kletterangebot. Neugierig geworden ging Mohssen vor mittlerweile über einem Jahr zur Schnupperstunde, die einmal im Monat im Turnsaal einer Wiener Schule mit Boulder-Wand stattfindet. Der gebürtige Afghane ist seitdem begeistert dabei.

Die Geflüchteten beim Klettern: Schwerpunktverlagerung üben.
Foto: Miteinander am Berg

Die Idee dahinter

Der Initiator des Projekts, Georg Zimmermann, ist selbst enthusiastischer Sportkletterer. Der Personalberater hatte sich ursprünglich als ehrenamtlicher Deutschkurs-Lehrer gemeldet, und wurde Leiter einer Deutsch-Gruppe des Vereins "Menschen.Leben". Im Deutschkurs wurde unter anderem auch Smalltalk geübt, eine regelmäßige Frage dabei: "Was hast du am Wochenende gemacht?"

Zimmermann fiel auf, dass viele der Deutschlernenden vom Fußballspielen erzählten oder sich sonst sportlich betätigten. So ward die Idee des integrativen Kletterns geboren. Die Sprache innerhalb der Klettergruppe, die mittlerweile seit fast drei Jahren besteht, ist Deutsch. Niemand hat damit ein Problem, alle bemühen sich. Zimmermann hat inzwischen eine Ausbildung zum Übungsleiter und "Miteinander am Berg" wuchs zum Verein mit sieben Mitgliedern heran, die die Gruppe als Klettertrainer und Leiter unterstützen.

Freiwillige HelferInnen und gut integrierte Geflüchtete

So wie Selina, die ganz zufällig zur Gruppe fand: Beim Bouldern fiel ihr ein Flyer der integrativen Klettergruppe auf, sie ging einmal hin – und blieb. Heute zeigt sie Matt aus dem Irak, wie man richtig sichert. Das ist zum Seilklettern essenziell. Matt ist schon vor rund drei Jahren geflüchtet. Geklettert ist er davor noch nie. Ob es im Irak denn auch hohe Berge gäbe? "Im Norden schon, aber da, wo ich wohne, nicht."

Das Präsens "Wohnen" mag stutzig machen, ergibt sich aber vielleicht daraus, dass Matt allein geflüchtet ist. Seine Familie ist noch im Irak, er hält Kontakt zu ihr. In Österreich studiert Matt Englisch auf Lehramt, und arbeitet ehrenamtlich in der Kinderbetreuung. Beim Klettern in der Halle ist er jetzt zum dritten Mal, es macht ihm Spaß. Dass das Angebot gratis ist, ist praktisch, doch Matt sagt: "Wenn die Gruppe nicht so nett wäre, wäre ich trotzdem nicht wiedergekommen."

Preisgekröntes Angebot

Der Verein, der kürzlich vom " Österreichischen Integrationsfonds" in der Kategorie "Integrationspreis Sport" ausgezeichnet wurde, soll möglichst unabhängig von Kirche und Politik funktionieren. Er finanziert sich durch Spenden, zumeist von Privatpersonen aus dem Freundeskreis Zimmermanns. Von dem Geld wird Equipment gekauft. Der Alpenverein Edelweiß unterstützt die Kletternden und die Kletterhalle Wien darf ebenfalls kostenfrei genutzt werden.

Geklettert wird nicht nur in der Halle, sondern auch in den österreichischen Bergen.
Foto: Miteinander am Berg

Fatime nutzt dieses Angebot gern – auch, wenn die Routen an den einfacheren Wänden der Kletterhalle Wien ihr schon langweilig werden. Die Afghanin ist die einzige Frau, die regelmäßig zu den Trainings kommt. Ob sie das störe? "Nein. Ich verstehe mich mit allen sehr gut." Auch Rabia aus dem Iran, die heute zum zweiten Mal mit dabei ist, stört der Mangel an Frauen in der Gruppe nicht: "Ich verstehe mich eigentlich eh besser mit Männern."

Frauen-Klettern und das Gefühl von Sicherheit

"Wir bemühen uns, mehr Frauen zum Klettern zu animieren", sagt Zimmermann. Auch an einer Klettergruppe nur für Frauen würde gearbeitet werden. Grundsätzlich gibt es in der EU aber auch mehr männliche als weibliche Geflüchtete: So stellten laut Eurostat 2018 rund ein Drittel mehr Männer als Frauen erstmalig einen Asylantrag in Österreich. Auch so ließe sich das Geschlechtermissverhältnis in der Klettergruppe erklären.

Um die 30 regelmäßige Kletterer zählt die Gruppe mittlerweile. Die meisten sind schon ein paar Jahre in Österreich. Zimmermann will die Geflüchteten animieren, auch selbstständig klettern zu gehen. "Da fragen dann viele oft, ob sie trotzdem noch zu uns Klettern kommen dürfen." Zimmermann hat eine Gemeinschaft aufgebaut, in der sich alle sicher fühlen – auch außerhalb des Klettergurts. (Stefanie Schermann, 12.04.2019)