Die Ehe als Seitensprung: Sona MacDonald und Götz Schulte in Schalkos "Toulouse".

Foto: Moritz Schell/APA

Auch für den zärtlichsten Ehepartner kommt nach 19 Jahren unweigerlich die Zeit, sein Gegenüber besser kennenzulernen. Ihre Ehe haben Gustav und Silvia längst verlorengegeben. Eine gute Gelegenheit für das wandelnde Schreibbüro David Schalko, ihnen mit dem Einakter Toulouse ein redseliges Nachspiel zu schenken.

Um den beiden die Aussprache zu erleichtern (handgreifliche Intimitäten sind nicht ausgeschlossen, sondern ausdrücklich erwünscht!), hat Ausstatter Herbert Schäfer eine luxuriöse Wohlfühloase in das Wiener Josefstadt-Theater geklotzt. Die Holzvertäfelung schimmert durchdringend weiß. Wer in diesem windschiefen Hotel mit Meerblick Quartier bezieht, hat mit der Idee des ehelichen Nestbaus einigermaßen abgeschlossen.

Aufrichtiger Liebeshass

Jemand wie Silvia (Sona MacDonald) kann der Zeit mit Hilfe modischer Accessoires mit Leichtigkeit den Zahn ziehen. Gustav hat im Kampf mit Alterung und Verfall anderweitig vorgesorgt: Er hat eine 25 Jahre Jüngere in gesegnete Umstände gebracht. Beste Voraussetzungen, um den jeweils anderen mit den Giftpfeilen des aufrichtigen Liebeshasses zu spicken. In den besten Augenblicken funktioniert Schalkos Klippklapp auch wie ein Schnellsiedekurs in Sachen Strindberg/Albee/Williams: Sie küssen und sie schlagen sich. Aufgeben gilt nicht. Ein klarer Fall von Eheberatungsresistenz.

Im Josefstadt-Theater kommen die beiden auf einer Sandaufschüttung zu sitzen. Gustav (Götz Schulte) ist ein wenig zu jugendlich gekleidet, vor allem aber plündert er ohne Unterlass die offenbar unerschöpfliche Zimmerbar. Der Säufer setzt sich gekonnt in Pose: ein in den Hüften elastisches, vor Behagen schmatzendes, altes Riesen-Ferkel.

MacDonald mimt mehr die schöne Unbeteiligte, eine rätselhafte Wald- und Flussgöttin. Der zu nichts verpflichtende Wohlstand, der die beiden umgibt, gleicht dem Chlorwasser in einem Swimmingpool. Und so hat Regisseur Torsten Fischer dem rund 70-minütigen Treiben ein Video vorangestellt. Es zeigt Philemon und Baucis beim erquickenden Strampeln im kühlen Nass.

Terror im Konferenzzentrum

Schalkos Konstruktion basiert auf dem Prinzip der Dislokation. Gustav hatte seiner neuen Flamme nämlich vorgegaukelt, geschäftlich in Toulouse zu weilen. Ausgerechnet dort richten Terroristen im Konferenzzentrum ein Blutbad an. Als Tor zur Welt fungiert für den Fremdgeher das iPhone. Die Verwirrung der Ebenen bleibt für die beiden Ehekriegsgegner ohne Folgen. Außer den üblichen: Irgendwann hat jeder von ihnen eine Pistole in der Hand. Ausgerechnet Blei muss die Beziehung kitten.

Jeder der beiden sollte jetzt woanders sein. Ein Ähnliches gilt auch für diese liebenswürdige, ein bisschen langweilige, zutiefst harmlose Erstaufführung von Toulouse. Die hätte woanders hingehört, womöglich in die Kammerspiele der Josefstadt. Pflichtschuldiger Jubel für die handelnden Beteiligten, denen man als nächstes ein saftigeres Steak wünscht: etwa Strindbergs Totentanz. (Ronald Pohl, 12.4.2019)