Auch Herzinsuffizienzen können den wichtigsten lebenden weißen Bluessänger nur vorübergehend vom Musikmachen abhalten.

Foto: Victoria Will/APA

Der Eingriff selbst war minimalinvasiv. Eigentlich hätten die Rolling Stones auf ihrer circa 374. Tournee lediglich ein paar Konzerte in den USA spielen sollen. Nichts Großes. Bloß ein paar Gigs vor jeweils 120.000 Fans. Keith Richards, der knochige Schamane an der Gitarre, hätte an den Saiten gerissen.

Und Jagger? Wäre auf die Bühne stolziert wie ein spindeldürrer Hahn. Den Kopf nach hinten geworfen, das Mikro in Richtung der Fans ausgestreckt, die Lippen (ja, die!) schmollend hochgezogen, wie um noch einmal das süße Leben zu küssen. Sir Mick Jagger, nach dem mittlerweile eine Flusspferdart benannt ist, lässt auch in seinen Reifejahren nichts anbrennen. Er zeichnet zur Stunde für acht Kinder, vier Enkel und einen Urenkel verantwortlich. Beinahe monatlich werden es mehr.

Bemühung um Ersatz

Und dann folgende Horrorbotschaft: gesundheitliche Beschwerden, die plötzliche Absage der Tour durch Nordamerika. Jaggers Herzklappe war defekt und musste schleunigst ersetzt werden.

Jagger wurde ein Katheter gelegt, um via Oberschenkelarterie auf die kaputte Klappe zuzugreifen. Unmittelbar nach dem Eingriff twitterte der Sänger der härtesten Rock-'n'-Roll-Band der Welt: "Fühle mich jetzt viel besser!" Mit minimalinvasiven Interventionen kann man einen Sir Mick nicht aus der Strampelhose schütteln.

Jagger, der Lehrersohn aus Dartford, zählt mittlerweile 75 Jahre. Er nennt hunderte Millionen an Privatvermögen sein Eigen, und stündlich werden es mehr. Er wurde 1943 geboren, in dem Jahr, in dem die Alliierten in Italien landeten, um den Halbstiefel maximalinvasiv von den Nazis zu befreien. Jagger, der Rekonvaleszent, ließ sich mittlerweile schon einmal sicherheitshalber beim Genesen ablichten. Verträumt, mit Käppi vor blühendem Frühlingsbusch.

Das Lied lügt nicht

Die Stones-Konzerte werden demnächst nachgeholt. Es werden nur wenige Wochen ins Land ziehen, und der dürre Sänger wird wieder joggen gehen. Er wird auf der nächsten Tour fit sein wie ein Sneaker. Und er wird viel Geld machen, um die dann neun Kinder, 17 Enkel und acht Urenkel (Tendenz steigend) vor dem Hungertod zu bewahren. Das typische Leben eines Bluessängers.

Am offenen Herzen wurde Jagger nicht operiert. Offenheit schickt sich nicht für einen Stilisten, der in ein und demselben Song betteln, schmachten, raunzen und um Erhörung flehen kann. Das Lied lügt nie, nur das Leben hinkt nach. (Ronald Pohl, 12.4.2019)