Gegner von US-Präsident Donald Trump beklagen den Gewöhnungseffekt schon lange. Aussagen, die vor wenigen Jahren noch Entrüstung ausgelöst hätten, locken kaum mehr jemanden hinter dem Handybildschirm hervor. Dass der US-Präsident die Wahrheit gerne bis zur Lüge verbiegt, auch dass er sich selbst widerspricht – das gilt längst als normal. Auch wenn es das nicht ist.

Trumps jüngste Volte sorgte aber doch wieder für Aufregung, vielleicht weil sie so plakativ ist: Über Wikileaks, das publizistische Kind des nun in London aufgegriffenen Julian Assange, will Trump nach Aussage vom Donnerstag "eigentlich gar nichts" gewusst haben. Noch im Wahlkampf 2016 hatte er mehrfach und öffentlich seine Liebe zur Enthüllungsplattform bekundet und immer wieder weitere Hackingpublikationen über seine Gegnerin Hillary Clinton gefordert.

Es ist ein Widerspruch, der auch jenen zu denken geben sollte, die Trump bisher die Stange gehalten hatten, weil sie sich von ihm frischen Wind für freie Meinung erhofft hatten, für Netzaktivisten mit "alternativen Meinungen", so bizarr, rassistisch und so weit rechts sie auch sein mögen, und für jene, die Trump für einen Gegenentwurf zum angeblich voreingenommenen Mainstream hielten. Es zeigt, was dem US-Präsidenten seine behauptete Liebe zur Transparenz wert ist: nichts, wenn er nicht selbst profitiert. Aufdecker dürfen dann ruhig in Haft landen.

Das ist die eine Seite der Medaille. Aber es wäre zu einfach, hier haltzumachen, denn der Fall zeigt auch Widersprüche auf, die viel weiter reichen. Jahrelang haben Medien mit Wikileaks kooperiert. Jahrelang haben sie Assange gelobt. Als Details über Verbrechen und Vertuschung durch Angehörige des US-Militärs öffentlich wurden, galt das völlig zu Recht als mutige Enthüllung.

Nein, man muss Assanges Handeln nicht loben oder ihn selbst sympathisch finden. Der Wikileaks-Gründer hat viel zu oft persönliches Interesse über jenes seiner angeblichen Mission gestellt. Er hat selbstverliebt agiert, und er hat sich vor allem für autoritäre Staaten wie Russland, die selbst die Pressefreiheit bekämpfen, als Vollstrecker ihrer Medienpolitik einspannen lassen. Er hat keine Rücksicht auf die Opfer dieser Politik genommen, und er hat auch riskiert, dass Unschuldige durch seine Aufdeckungen zu Schaden kommen. Selten erfüllte er journalistische Sorgfaltskriterien.

Aber, und das ist der springende Punkt: Dabei geht es um Meinung, und diese ist kein Fall für Gesetze. Und so sollte die Frage auch behandelt werden. Assange für seine Publikationen zu belangen würde weitere Eingriffe in Presse- und Informationsfreiheit möglich machen – besonders in einer Zeit, in der die Grenze zwischen klassischem Journalismus und Netzpublikationen längst verschwommen ist. Besonders aus diesem Grund darf er nicht an die USA ausgeliefert werden.

Das gilt auch, solange ihm nur die aktuelle Anklage droht: Assange werden nicht seine Veröffentlichungen vorgeworfen, sondern dass er die Armeeangehörige Chelsea Manning dabei beraten habe, Passwörter zu knacken. Das mag rechtswidrig sein, es mag Indizien geben. Die jahrelange Jagd nach ihm steht zu dieser Anklage aber in keinem Verhältnis. Der Punkt ist offenbar ein Vorwand, eine juristische Ersatzhandlung. Ist Assange einmal in den USA – wer weiß, was dann passiert.

Die anderen Vorwürfe gegen ihn, vor allem jene der Vergewaltigung in Schweden, sind dafür aufzuklären. (Manuel Escher, 13.4.2019)