Medienminister Gernot Blümel

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Martin Kotynek ist seit November 2017 Chefredakteur des STANDARD. Davor hat der Neurobiologe 15 Jahre lang in Deutschland und den USA gelebt, wo er bei der "Süddeutschen Zeitung" in München, bei der "Zeit" in Berlin sowie an der Stanford Universität in Kalifornien tätig war.

You can read the English version here: An Atmosphere of Suspicion

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Medienminister hat ein Gesetz vorgelegt, mit dem er den "respektvollen Umgang" im Internet fördern, also sogenannte Hasspostings in Online-Foren verhindern möchte. Das klingt zunächst sinnvoll. Doch liest man das Gesetz, stellt man fest: Minister Blümel geht es mit dem Gesetz am allerwenigsten um Hasspostings.

Es verstößt gegen das Europarecht, es ist grundrechtswidrig, es widerspricht den Positionen des Menschenrechtsgerichtshofs, des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs, es steht im Widerspruch zum Datenschutz, und es ist für Betreiber von Online-Foren potenziell existenzbedrohend. Weil es unverhältnismäßig ist, dass Betreiber die Daten aller ihrer Nutzer überprüfen, speichern und laufend aktualisieren müssen – ein enormer Verwaltungsaufwand. Weil anonyme Beiträge durch die Meinungsfreiheit geschützt sind. Weil vorsorglich alle Daten anlasslos dokumentiert werden müssen – eine unzulässige Vorratsdatenspeicherung. Weil es künftig noch leichter sein soll, an die Daten von Postern heranzukommen. Weil das Gesetz Strafen von bis zu einer Million Euro androht. Weil es außerdem Österreicher gegenüber Menschen, die im Ausland wohnen, benachteiligt. Und es sieht ernsthaft vor, dass Plattformen wie Facebook, Twitter und Googles Youtube extra für österreichische Internet-Nutzer eine Infrastruktur aufbauen sollen, um diese zu identifizieren – wobei es den US-Firmen auch hier gelingen dürfte, dass das Gesetz für sie gar nicht anwendbar ist.

Konsequente Moderation wäre ausreichend

Es zeigt, dass es Medienminister Blümel am grundsätzlichen Verständnis mangelt, wie das Netz funktioniert. Es hätte ausgereicht, das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu kopieren – es sieht die einzig wirksame Methode gegen Hasspostings vor: konsequente Moderation. Und man hätte die längst versprochenen Staatsanwälte für die Verfolgung von Hasspostern einstellen können, um die bestehenden Regelungen ordentlich durchzusetzen. Doch darum geht es dem Minister gar nicht. Hasspostings sind nur das Mittel zum falschen Zweck.

Vielmehr stellt die Regierung mit ihrem Gesetz Österreichs Bevölkerung unter Generalverdacht. Es ist, als müssten sich alle Menschen, die einen Bahnhof benützen wollen, im Vorhinein registrieren – nur für den Fall, dass einer von ihnen etwas beschädigen könnte. Das Gesetz sendet ein klares Zeichen: Überlege Dir gut, ob Du etwas Kritisches oder Persönliches postest! Denk dreimal nach, ob Du Missstände aus Deiner Branche veröffentlichst! Denn alles, was Du sagst, kann gegen Dich verwendet werden. Man kann in Erfahrung bringen, wer Du bist. Man kann Dich verfolgen, wenn man will; womöglich Dein Arbeitgeber.

Online-Foren sind essenzieller Bestandteil digitaler Medien. Es sind jene Orte, an denen die "Message-Control" nicht funktioniert, wo Politiker es hinnehmen müssen, dass ihre Arbeit öffentlich kritisiert wird. Auch DER STANDARD betreibt ein solches Forum. Der Ton dort mag teils ruppig sein, aber Hasspostings sind kein Problem, da sich 16 Moderatoren um die Debatten kümmern. Etwa 20 Mal im Jahr gibt es Auskunftsersuchen, also so gut wie nie. Aus den Forenbeiträgen kommen oft wertvolle Hinweise für Recherchen.

Indem sich das Gesetz gegen Foren richtet, wendet es sich direkt gegen eine wichtige Grundlage österreichischer Medien. Es reiht sich ein in den weltweiten Trend rechter und populistischer Politiker, die gegen unabhängigen Journalismus und öffentlichen Diskurs Stimmung machen – allen voran US-Präsident Trump, der kritische Medien als "Volksfeinde" bezeichnet. Statt als Medienminister zu fragen, was man tun kann, um qualitativen Journalismus zu unterstützen, wenn bereits die Hälfte der Online-Werbeausgaben zu Facebook und Google abgewandert ist, passiert hier das Gegenteil: Die PR-Abteilungen der Regierung sind gewachsen. Steuergeld wird in Form von Regierungsinseraten in Boulevardmedien umgeleitet. Die öffentlichen Ausgaben für Werbung auf Facebook liegen im Millionenbereich. Die FPÖ baut sich ihr eigenes Medien-Imperium, mit großer Facebook-Page, FPÖ-TV und parteinahen Medien wie "Unzensuriert" (für die das neue Gesetz nicht gelten soll).

Demokratie stärken

Wo will unsere Regierung in diesem weltweiten Kampf um unabhängigen Journalismus stehen? Um das zu beantworten, könnte sie sich eine simple Frage stellen: Was kann man als Regierung tun, um die Demokratie zu stärken? Denn alles, was der Demokratie hilft, hilft automatisch auch unabhängigem Qualitätsjournalismus. Vielleicht gelangt Minister Blümel dann zu einer Einsicht: Hilft es ernsthaft der Demokratie, dass man nur dann seine Meinung sagen darf, wenn zuvor die eigene Identität festgestellt wurde?

Hier geht es nicht darum, ob man kritische Berichterstattung schätzt oder nicht oder ob man selbst in einem Forum durch den Kakao gezogen wurde. Es geht um etwas Größeres: Erlauben wir den Vertretern des Volkes, den öffentlichen Diskurs im Web zur Selbstzensur zu zwingen? Und wollen wir, dass freiem Journalismus im Netz durch die Hintertür eine wichtige Grundlage entzogen wird?

Unabhängiger Journalismus lässt sich weder vereinnahmen, noch in eine Ecke drängen. Auch wenn der Medienminister mit seinem Gesetz die Medienfreiheit angreift, dürfen wir als Journalisten nicht zu Aktivisten werden. Das würde dazu führen, dass wir unsere Unabhängigkeit verlieren. Das wird beim STANDARD nicht geschehen: Wir werden alles versuchen, die Daten unserer Nutzer weiterhin zu schützen. Und wir werden weiterhin unabhängig schreiben, was ist. Das können wir dank Ihrer Unterstützung, liebe Leserinnen und Leser. Und dafür sagen wir Ihnen heute: danke!

Herzlich,
Ihr Martin Kotynek,
Chefredakteur