Zur alten Rechtslage beim Rücktrittsrecht gibt es immer noch offene Fragen. Diese soll nun der EuGH klären.

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Wien – Das neue Versicherungsgesetz, das seit Jahresbeginn gilt, regelt das Rücktrittsrecht zwar neu. Offene Problemfälle sind für die Versicherer damit aber nicht vom Tisch. Bis Ende 2018 hatten rund 20.000 Versicherungsnehmer ihren Rücktritt erklärt – aufgrund fehlender oder falscher Belehrung über ihr Rücktrittsrecht, DER STANDARD berichtete. Es geht dabei um rund 60 Mio. Euro – das sind 0,03 Prozent der Jahresgewinne 2018 der Versicherer.

Betroffene berufen sich auf zwei Urteile (EuGH 2013 / OGH 2016), die besagen, dass Versicherte im Fall einer falschen Belehrung ein ewiges Rücktrittsrecht haben. Auch wenn ein Vertrag bereits erfüllt (ausbezahlt oder vom Versicherten vorzeitig gekündigt) wurde. Kunden hatten hierbei einen finanziellen Vorteil: Beim Rücktritt sprangen im Schnitt zwischen 20 und 40 Prozent mehr heraus als beim Rückkauf.

Offene Fragen

Trotz dieser zwei Urteile gibt es offene Fragen zur alten Gesetzeslage, die nun beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelandet sind, nachdem zwei österreichische Gerichte offene europarechtliche Fragen sehen. Sie wollen wissen:

· Darf ein nationaler Gesetzgeber wie das österreichische Parlament festlegen, dass der Versicherungsnehmer beim Rücktritt aufgrund Falschbelehrung genauso viel erhält wie bei einer ordentlichen Kündigung des Vertrages?

· Darf ein nationaler Gesetzgeber wie das österreichische Parlament festlegen, dass nach berechtigtem Rücktritt vom Versicherer nur für drei Jahre Zinsen zu zahlen sind?

· Wie muss eine Rücktrittsbelehrung erfolgen?

· Darf die Versicherung vorschreiben, dass der Rücktritt nur gilt, wenn er schriftlich (unterschrieben) geschickt wird, wenn im Gesetz steht, der Rücktritt ist in jeder Form – auch per Mail oder mündlich – möglich?

Vergangenen Donnerstag wurden diese Punkte in einer dreistündigen Anhörung beim EuGH vorgetragen. "Eine Debatte hat es vor allem bei der Frage der Schriftform gegeben", sagt Anlegeranwalt Michael Poduschka. In Österreich bedeutet die Schriftform, dass etwas handschriftlich unterschrieben und persönlich übergeben oder per Post geschickt sein muss – eine Mail reicht nicht. Im alten Gesetz hieß es aber, dass man den Rücktritt erklären kann, wie man will. Einige Versicherungen hatten in ihren Belehrungen stehen, ein Rücktritt gelte nur, wenn er schriftlich erfolgt.

Doppelt spannend

Die Klärung der Fragen ist laut Poduschka in einigen Punkten doppelt spannend, weil sie auch Auswirkungen auf das neue Gesetz haben könnte. Etwa, ob der Gesetzgeber festlegen kann, dass ein Versicherter, der wegen falscher Belehrung zurücktritt, das Gleiche bekommen darf wie jemand, der seinen Vertrag kündigt. Das ist für das neue Gesetz relevant, weil der Gesetzgeber die Gleichstellung zwischen Kündigung und Rücktritt für jene Verträge festgeschrieben hat, die vor mehr als fünf Jahren abgeschlossen wurden. Kommt der EuGH hier zu dem Schluss, dass der nationale Gesetzgeber das nicht festlegen darf, ist das neue Gesetz in dem Punkt unionsrechtswidrig.

Die Schlussanträge der Generalanwältin hierzu gibt es im Juni, das Urteil soll im Herbst folgen. (Bettina Pfluger, 15.4.2019)