Typischer Doig: Meer, Boot und wabernde Farbe ("Spearfisher", 2019).

Foto: Hannes Böck, Courtesy the Artist and Michael Werner Gallery, New York and London, Bildrecht Wien, 2019

Die Beiden "Wheelchair"-Bilder in der Schau. Der Sprung im Maßstab motivierte Doig, sie nebeneinander zu zeigen.

Foto: Foto Hannes Böck, Courtesy the artist and Michael Werner Gallery, New York and London - Bildrecht Wien, 2019

Peter Doig ist einer der wichtigsten und gefragtesten figurativen Maler der Gegenwart. Der gelbe Bau in "Lion" ist ein Gefängnis in Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad.

Foto: Foto Hannes Böck, Courtesy the artist and Michael Werner Gallery, New York and London - Bildrecht Wien, 2019

Mit hängendem Kopf streift der Löwe durch die Straßen. Er ist ein kräftiges Tier, doch er wirkt erschöpft, die Spitze der Zunge hängt ihm aus dem Maul. Vielleicht setzt ihm die Hitze zu. Schwer hebt er die Pranke. Doch sein Auge schaut uns herausfordernd an.

Maler Peter Doig ist mit seiner ersten Einzelschau zu Gast in Wien. In der Secession zeigt er brandneue Arbeiten, die er allesamt erst dieses Jahr fertiggestellt hat. Seit 2002 lebt der gebürtige Schotte auf der Karibikinsel Trinidad, wo auch die Szene mit dem Löwen spielt. Dem Tier kommt in der karibischen Kultur besondere Symbolik zu. In der Bibel wird Jesus einmal als Löwe von Juda bezeichnet, mit ihm verbinden sich also Heilserwartung und Widerstandsgeist.

Es hilft, zu wissen, dass die gelbe Mauer, vor der das Tier auf dem drei mal dreieinhalb Meter messenden Gemälde trottet, das Gefängnis der Inselhauptstadt Port of Spain ist. Seine Bilder seien Reflexionen über Orte, sagt Doig. In Trinidad sind da natürlich auch Erinnerungen an die Sklaverei nicht weit. Lion handelt von Freiheit.

Maler von Farbfeiern

Es wäre aber kein Bild von Peter Doig, fände auf der Leinwand nicht eine Farbfeier statt. Die Mähne des Löwen ist durchzogen von weißen und pinken Pinselspuren, als würde sie leuchten. Unter seinen Pfoten verläuft ein wolkig rosaroter Gehsteig. Lila wabernder Asphalt auch auf dem Bild eines Manns im Rollstuhl. Auf einsamen Meeren aus fleckigen Farben treiben auch Doigs berühmteste Motive: Boote. Mit Abenteurern oder verlorenen Seelen als Besatzung sind seine Boote ebenfalls in Wien zu sehen.

Der Secession ist mit der Schau eine kleine Sensation gelungen. Doigs Bilder erzielen auf Auktionen Spitzenpreise von 25 Millionen Dollar. Mit 16 Arbeiten im Gepäck ist der Künstler nach Wien gereist. Horizontal geschichtet oder auf Fluchtpunkt konstruiert zeigen sie das Meer, Strand, Palmen, Dschungelpflanzen. Doig findet seine Motive auf Plattencovern und im Inselalltag. Ein Skelett im dunklen Mantel mit Gitarre auf der Schulter stellt etwa den Calypsomusiker Mighty Shadow dar. Ganz Trinidad habe getrauert, als er 2018 starb.

Den Mann im Rollstuhl fand Doig hingegen in einer Zeitung. Ein Polizist hilft ihm über die Straße. Gepackt hat Doig die Szene, weil der Polizei, die hier als guter Samariter auftritt, in Trinidad häufig mit Angst begegnet wird. Das Bild sei also ironisch, was ihm beim Malen aber Schwierigkeiten bereitet habe. Denn wie malt man Ironie? Zweimal ist die Szene in der Schau zu sehen. Doig begann das Bild als Kleinformat, jahrelang stand es dann herum. Erst heuer hat er es vollendet und dazu noch eine größere Version. Klar politisch ist Doigs Werk nie. Aber er stelle Fragen, sagt er.

Blick des Außenseiters

Doig glaubt, dass die große Welt mit dem kleinen Ort verbunden ist. Vielleicht kommt das aus seiner bewegten Biografie. 1959 in Edinburgh geboren, übersiedelten die Eltern mit dem Kind nach Trinidad, später nach Kanada, das Studium brachte ihn 1979 nach London. Ein Stipendium führte Doig 2000 erstmals wieder nach Trinidad, seit 17 Jahren lebt er mit seiner Familie dort. Er sei aber nach wie vor ein Außenseiter, sagt er.

Peter Doig wirkt wie ein Paul Gauguin der Gegenwart. Mit seinem Lebensmittelpunkt entzieht er sich der Kunstszene ein Stück weit. Er bietet dem westlichen Kunstmarkt keine Gender- und Medienkritik, keine Kapitalismus- und Selbstreferenzen, sondern zeigt das Fremde. Was schimmert da in der Ferne am Horizont? Es ist die Gefängnisinsel Carrera. Die Szenen umweht ein Hauch von Animismus und Voodoo. Die Nachthimmel, die nichtnatürlichen Farben der Haut und Landschaft haben oft etwas Verwunschenes und Mysteriöses an sich – wie ins Magische und Unheimliche gewendete Werbefotos aus Urlaubsprospekten.

Zu Motiven, die er stark findet, kehrt Doig immer wieder zurück, versucht, sie noch einmal anders darzustellen. Zwei Bilder in der Secession zeigen etwa den US-Schauspieler Robert Mitchum. Er verbrachte in den 1950ern zehn Monate auf Trinidad und drehte dort zwei Filme. Womit er sich die Zeit sonst vertrieb, darüber finden sich kaum Quellen. Doig tippte den Namen auf Google ein und stieß auf ein Foto des Schauspielers in Badehose am Strand. Einmal zeigt Doig ihn in dieser Pose bei Nacht – und einmal bei Tag. Einmal sieht Mitchums Gesicht aus wie ein Totenkopf, der Sand ist schreiend orange. Schön, blond und vor blauem Himmel zeigt Doig den Filmstar im anderen Bild. Traum und Albtraum liegen nah beieinander. Und dazwischen Rätselbilder, die zum Versinken locken. (Michael Wurmitzer, 16.4.2019)