In seinen knallengen Hosen sah die Gay-Ikone Peter Berlin, bürgerlich Armin Hagen, in den 1970er-Jahren wie eine fleischgewordene Fantasie des Zeichners Tom of Finland aus.

Foto: Peter Berlin

An seinem Look hält der 1942 Geborene bis jetzt fest. Heute lebt er zurückgezogen in den USA.

Foto: Peter Berlin
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Foto: Peter Berlin

Er wurde die "Greta Garbo des schwulen Pornos" genannt: Dabei hatte Peter Berlin nur zwei längere Pornofilme gedreht, in denen er auch die Hauptrolle spielt. Nights in Black Leather (1972), That Boy (1974) und seine Selbstinszenierungen auf Fotos machten ihn zur Gay-Ikone der 1970er- und 1980er-Jahre.

In engen Hosen und mit perfektem Pagenkopf sah er aus wie eine fleischgewordene Fantasie des Zeichners Tom of Finland. Sein perfektes Image hat Filmemacher wie John Waters begeistert, mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe war er kurz zusammen, Andy Warhol hat ein Bild von ihm mit nacktem Hintern geschossen.

Peter Berlin wurde 1942 als Armin Hagen von Hoyningen-Huene im damaligen Litzmannstadt (heute Lódz) geboren. Als Sohn einer verarmten deutsch-baltischen Adelsfamilie wuchs er in Berlin auf, jobbte als Illustrator und Fotograf, bevor er Anfang der 1970er-Jahre in die USA auswanderte, wo er noch heute sehr zurückgezogen lebt. Das Gespräch fand per Telefon statt. Peter Berlin spricht noch immer perfekt Deutsch, auch weil er jeden Tag mit seiner betagten Mutter telefoniert, wie er gleich zu Beginn erzählt.

STANDARD: Wie soll ich Sie ansprechen: Peter oder Armin?

Peter Berlin: Ist mir ganz egal, die meisten sagen Peter zu mir. Ich bin erstaunt, dass sich überhaupt noch wer an Peter Berlin erinnern kann.

STANDARD: Wann haben Sie diese Kunstfigur erfunden?

Berlin: Es war nie mein Wunsch, eine Kunstfigur zu werden. Ich habe mich einfach geil angezogen. Das war mit 16, 17, als es mit dem Sex losging. Peter Berlin nannte ich mich erst, als ich nach Amerika kam.

STANDARD: Hatten Sie denn keine Probleme, Ihre Homosexualität so direkt zur Schau zu stellen?

Berlin: Alle meine Freunde in Berlin haben sich offen schwul gegeben. Ich hatte nie das Gefühl, dass man sich verstecken muss. Erst in Amerika habe ich dann gemerkt, dass es für viele etwas ganz Neues war, dass sich jemand so anzieht.

STANDARD: 1972 haben Sie den Porno "Nights in Black Leather" gedreht. Wie ist der entstanden?

Berlin: Das hat sich eher so ergeben, ein Freund hatte eine Kamera. Mich hat die Idee, einen Porno zu drehen, geil gemacht. Wir hatten kein Skript. Ich habe den Film nur einmal gesehen und finde nichts Gutes daran.

STANDARD: Aber er ist doch Kult.

Berlin: Man hätte mehr daraus machen können: eine Stunde kürzer und ein neuer Schnitt. Der Film ist blöd, ich seh' halt gut aus. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich besonders schön bin. Ich habe einfach versucht, das Beste aus mir zu machen.

STANDARD: Warum war Ihnen Attraktivität so wichtig?

Berlin: Viele Menschen wollen Karriere machen, das Sexuelle ist nur ein Beiwerk. Für mich war Sex der Mittelpunkt meines Lebens. Es gibt nichts Besseres für mich als dieses Gefühl von Geilheit. Sex ist ein starker Trieb. Nur leider geht unsere Gesellschaft viel zu negativ damit um. Die Religion hat noch immer Angst davor und würde ihn am liebsten abschaffen.

STANDARD: Wurde Ihnen Sex denn nicht langweilig?

Berlin: Nie. Wenn ich am Morgen aufwachte, dann habe ich nur überlegt, wo ich am Abend hingehen werde, was ich anziehen möchte. Das war mein Lebensinhalt. Ich finde schrecklich, dass Männer Angst davor haben, sich offensiv sexy zu präsentieren.

STANDARD: Der Mann soll ein Sexobjekt sein?

Berlin: Natürlich, die ganze Misere unserer Welt ist doch von normalen, jungen Männern geschaffen. Die gehen in den Krieg und schießen andere junge Männer tot. Und finden das toll. Der Mann ist ein Idiot. Für mich ist der schwule Mann viel normaler als der sozusagen normale Mann. Wir prügeln uns nicht besoffen in einem Fußballstadion.

STANDARD: Warum sind Schwule zufriedener?

Berlin: Was sieht ein junger Mann, wenn er in den Spiegel guckt? Findet er sich geil? Wahrscheinlich hat er dann Angst, schwul zu sein. Diese Vergewaltigung von ganz normalen Gefühlen ist so tiefgreifend. Die Frauen sind da viel besser. Sie sind körperlicher, umarmen und küssen sich. Die Männer sind verklemmter, dürfen ihre Körperlichkeit nicht ausleben. Aber bevor du ein gutes Verhältnis zu einer Frau hast, muss du doch mit deinem eigenen Körper Frieden schließen.

STANDARD: Lösen sich Rollenbilder nicht gerade auf?

Berlin: Das mag auf Großstädte zutreffen, aber nicht auf ein Dorf irgendwo in der amerikanischen Provinz. Die leben ja noch wie im Mittelalter. Wo die Eltern Panik davor haben, dass ihr Kind homosexuell sein könnte. Unter Donald Trump als Präsident wird es auch nicht besser. Aber ich war immer froh, dass ich schwul bin. Es ist viel schwieriger, als junger Mann ein Mädchen zu finden, das Sex haben will, als einen anderen Jungen. Hunderte Jungs waren in Berlin in der Nacht in den Parks, in den Wäldern, auf den Straßen unterwegs. Die Bäume haben im Frühling geduftet. Es war fantastisch. Es hat mich nie interessiert, Karriere zu machen.

STANDARD: Aber Sie haben viele einflussreiche Männer gekannt.

Berlin: Heute denke ich mir manchmal schon: Ich hätte ruhig ein bisschen netter sein können zu bestimmten Leuten.

STANDARD: Der Modemacher Jean Paul Gaultier wollte Sie für eine Kampagne buchen. Aber Sie haben sich am Telefon als Ihre Haushälterin ausgegeben, um ihn abzuwimmeln.

Berlin: Wie gesagt, für mich war der Gedanke einer Karriere einfach nicht präsent. Networking habe ich nie gekonnt. Deshalb bin ich heute alt und arm.

STANDARD: Wie haben Sie den Fotografen Robert Mapplethorpe kennengelernt?

Berlin: Er wollte mich treffen. Damals war Peter Berlin recht bekannt. Robert hatte gerade begonnen, seine Bilder zu machen. Der Unterschied zwischen uns war ganz klar: Robert wollte reich und berühmt werden. Seine Sexualität war für ihn sehr wichtig, aber er hat nie seine Karriere aus dem Blick verloren.

STANDARD: Und wie war Andy Warhol?

Berlin: Der hat ein einziges Foto von mir gemacht. Damals ging man ins Studio 54 in New York, da sah man Andy oft mit seinen Leuten. Als ich einmal in seiner Factory war, hat er mich ganz höflich gefragt, ob er ein Bild von mir machen könne. Ich hatte Lederhosen an, ich sollte mich vorbeugen, er wollte meinen nackten Hintern fotografieren.

STANDARD: Sind Sie ein Narziss?

Berlin: Leute lieben Schubladen. Wenn ich in den Spiegel gucke und ich mich gut finde, ist das doch eine ganz normale Sache. You have to love yourself. Ich habe das zum Extrem gemacht. Viele Menschen sind nicht mit sich zufrieden, daraus entstehen enorme Probleme. Und dann gibt es Typen wie Donald Trump, die von sich überzeugt sind, denen Macht und Erfolg wichtig ist. Ich bin genau das Gegenteil.

STANDARD: Wurden Sie in der schwulen Welt als Trophäe betrachtet?

Berlin: Es haben viele behauptet, mich zu kennen. Sex mit mir gehabt zu haben. Dabei war ich immer sehr scheu und habe nie Freunde gesucht. Obwohl das mit dem Sex auch so eine Sache ist. Wenn man sieht, was die Leute als Sex bezeichnen, finde ich das traurig. Wenn ich in die Parks ging, sah ich oft Gruppen von Männern: Da bläst der eine den anderen. Das hat mich sofort gelangweilt. Dann wusste ich immer: Aha, jetzt war gerade Dienstschluss. Schnell in den Park nach der Arbeit, der Sex dauert von 17.30 bis 17.45 Uhr. Dann wird das wirklich Wichtige gemacht, ins Kino gegangen oder ins Restaurant.

STANDARD: Wie ist Sex denn bei Ihnen abgelaufen?

Berlin: Sex ist mehr, als sich aufeinanderzustürzen. Ich sehe das als eine mathematische Kurve: Du siehst ein Objekt der Begierde, und dann fängt das Spiel an. Ich will dich und du willst mich. Ich weiß, was ich will, aber ich weiß nicht, was du willst. Man muss vorsichtig sein. Sexualität ist ein buntes Bild. Der eine will nur deinen Fuß küssen, der andere will die Faust im Hintern haben, der andere will geschlagen werden, der Nächste will nur küssen. Für mich war es immer interessant, dem anderen eine gute Zeit zu geben.

STANDARD: War das nicht anstrengend?

Berlin: Wenn ich als Peter Berlin rumgelaufen bin, dann kamen die Männer auf mich zu wie Fliegen auf den Honig. Von 100 Leuten habe ich 100 abgestoßen. Was mir den Ruf eingebracht hat, eine arrogante Person zu sein.

STANDARD: Was haben Sie gesucht?

Berlin: Dass man jemanden geil macht und zum Orgasmus bringt, ohne dass man sich überhaupt anfassen muss. Deshalb habe ich ja auch kein Aids bekommen. Meine Sexualität war sehr visuell. Das wird leider nie so verstanden. Obwohl sich das durchs Internet sehr verändert hat. Die meisten Leute sitzen am Computer und sehen Bilder, die sie anmachen. Zu meiner Zeit musste man in einem Lexikon noch geheim nach pikanten Wörtern suchen.

STANDARD: Sind Sie auf der schwulen Dating-Plattform Grindr?

Berlin: Ich bin neidisch auf Leute, die mit 100 noch Sex haben und das toll finden. Die meisten Leute nehmen es einfach hin, dass sie alt werden. Für mich waren Jugend und Schönheit immer zentral, ich finde es einen furchtbaren Fehler der Natur, dass man jung geboren wird und dann immer älter wird. Dass man alles verliert. Zum Glück habe ich einen gewissen Humor.

STANDARD: Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

Berlin: Den gibt es wahrscheinlich gar nicht. Mir ist egal, was passiert. Ich bin froh, dass ich wenigstens der schwulen Welt ein Bild gegeben habe, wie sich ein junger Mann anziehen soll. Meine Botschaft ist: Schämt euch nicht für eure Sexualität. (Karin Cerny, RONDO, 2019)