Die ehemalige Tory-Politikerin und Journalistin Annunziata Rees-Mogg (Schwester des prominenten Brexit-Enthusiasten Jacob Rees-Mogg) tritt nun für Nigel Farages Brexit-Party bei den Europawahlen 2019 an.

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Hinter vorgehaltener Hand verwenden konservative Spitzenpolitiker unfeine, keinesfalls druckreife Vokabel, wenn sie über die bevorstehende Europawahl sprechen. Selbst die offiziellen Statements klingen bestenfalls genervt. "Zwecklos" nennt Finanzminister Philip Hammond den Urnengang, "völlig absurd" findet ihn der Brexit-Rebell Boris Johnson. Weil die Umfragen den regierenden Tories ein Debakel vorhersagen, stellt es laut Außenminister Jeremy Hunt für Premierministerin Theresa May und ihr Team "absolute Priorität" dar, die EU noch schnell vor dem Wahltermin, in Großbritannien der 23. Mai, zu verlassen.

Möglich wäre dies – wahrscheinlich ist es aber nicht. Die Tories müssten sich rasch mit der oppositionellen Labour Party auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, worauf zuletzt wenig hindeutete. Und so haben die Parteistrategen allerorten viel zu tun: Kandidaten auswählen, programmatische Schwerpunkte setzen, Aktivistenteams zusammenstellen.

Anders als noch vor fünf Jahren ist nichts von langer Hand geplant, weil die politische Elite davon ausging, man werde den Brüsseler Klub inzwischen verlassen haben. Die neuerliche Fristverlängerung bis längstens Ende Oktober kam nur zustande, weil May die Europawahl für sämtliche im Königreich wohnhaften Briten und Angehörige anderer EU-Staaten, insgesamt fast 70 Millionen Menschen, zusagte.

Neue proeuropäische Parteien gegründet

Eile ist angesagt. Nur noch bis Donnerstag nächster Woche haben die Parteien Zeit, um ihre vollständigen Kandidatenlisten vorzulegen – über die Osterfeiertage eine schwierige Aufgabe. Mit hoher Geschwindigkeit sind also die etablierten Kräfte ebenso wie neu entstandene Parteien dabei, ihre Teams zusammenzustellen. Dazu zählen Labour, Tories und Liberaldemokraten ebenso wie die neu entstandenen, EU-freundlichen Gruppierungen Change UK, Renew, oder die "UK EU Party". Letztere bezeichnet den Verbleib Großbritanniens in der EU als "die beste Option für die britischen Bürger".

Uk-EU-Party-Spitzenkandidat Pierre Kirk erklärte, "wir beabsichtigen, die einzige politische Partei in Großbritannien zu werden, die für die Rückkehr unseres Landes in die EU eintritt". Mit sechs Millionen "Remainers", die zuletzt eine Petition für den Rückzug des Artikel 50 eingetreten sind, und einer Million Menschen, die auf den Londoner Straßen für die EU demonstriert hatten, habe man sich entschieden, zu handeln, nachdem seit dem Referendum 2016 ein Chaos in der britischen Regierung ausgebrochen sei.

Die neue Pro-EU-Partei sei auch ein Angebot für jene Wähler, die vom Verhalten der Tories und von Labour genug hätten und sich nicht mehr durch die britische Politik vertreten fühlten. Man werde die britische Wirtschaft unterstützen, vor allem den Dienstleistungssektor. Seit dem ersten EU-Referendum seien bereits tausende von Jobs im Dienstleistungsbereich verloren gegangen. "Viele weitere werden folgen, wenn wir nicht den Brexit stoppen".

Das zweite Ziel von "UK EU Party" sei, vor allem die Jugend in Großbritannien zu repräsentieren. Die Zukunft der Jugendlichen könne nicht durch einen Austritt gesichert werden. Die EU-Wahlen seien eine Möglichkeit für das Land, ein zweites "informelles" Referendum über den Brexit abzuhalten.

Farage mit neuer Partei

Hohe Publizität sicherte sich dieser Tage auch Nigel Farage. Weil ihm seine alte Partei Ukip zu sehr in die Nähe von Rechtsradikalen gerutscht war, gründete der seit 20 Jahren dem Europäischen Parlament angehörende Hohepriester der EU-Gegnerschaft kurzerhand die Brexit-Partei. Nichts Geringeres als eine "demokratische Revolution" plant Farage mit seinen angeblich mehr als 1000 Bewerbern um die 73 Listenplätze, darunter die frühere konservative Parlamentskandidatin Annunziata Rees-Mogg, Schwester des prominenten Brexit-Enthusiasten Jacob. Gegenwind erhielt die neue Gruppierung vom derzeitigen Ukip-Chef Gerard Batten: Während seine Partei ein Programm und konkrete Vorschläge vorweisen könne, sei die Brexit-Partei nichts als "ein Vehikel für Farage".

In einer ersten Umfrage der Firma Yougov bringen es Farages altes (14) und neues (15) Vehikel gemeinsam immerhin auf 29 Prozent – zwei Prozentpunkte mehr als Ukip vor fünf Jahren allein. Für die damals stark gerupften Tories (24) sieht es diesmal noch schlimmer aus: Lediglich 16 Prozent sagen die Demoskopen der Regierungspartei voraus. "Das wäre das schlechteste Ergebnis seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts", sagt Professor Tony Travers von der London School of Economics (LSE). Wahrlich ein Grund für Kraftausdrücke. (Sebastian Borger aus London, APA, 16.4.2019)