Der Wiener Architekt Stephan Ferenczy umgibt sich mit Zurückhaltung. Die Ordnung, sagt er, ist für ihn Basis für die sonntägliche Erholung. Zu Besuch in Wiens erstem Hochhaus in der Herrengasse, wo der Portier noch ein Sir ist.

"Vor 18 Jahren, als die niederösterreichische Landesregierung abgezogen ist, hat sich in der Herrengasse eine charmante Stille, eine gewisse zauberhafte Lässigkeit breitgemacht. Der alte Glanz war vorbei. Und der neue noch nicht da. Unten im Parterre gab es zwei Hutgeschäfte, ein Reisebüro und ein Hörgerätegeschäft. Heute ist das anders. Es reicht ein betrunkener Deutscher (als gebürtiger Hamburger darf ich das sagen), der durch die Nacht torkelt, um dich aus dem Tiefschlaf zu reißen. Der Lärm arbeitet sich am Gemäuer bis in den neunten Stock hoch. Erfreulicherweise trifft das auch auf das Geklappere der Fiaker zu. Ich mag den Sound. Manchmal fühlt es sich an, als würden die Pferde direkt vor dem Fenster vorbeitraben.

Zurückhaltung und Zeitlosigkeit hieß das Motto beim Umbau der Wohnung von Stephan Ferenczy in der Wiener Herrengasse.
Foto: Nathan Murrell

Der neunte Stock ist eine perfekte Lage. Zum einen sieht man den Himmel mit dem Stephansdom, der Minoritenkirche und der Rückseite des Burgtheaters, das mich von hier aus betrachtet an die Grand Central Station in New York erinnert. Das für mich wichtigste Motiv aber ist der Rathausturm, dessen Uhr mit mir am Morgen spricht und mir sagt, wie viele Minuten ich noch schlafen darf. Zum anderen ist man auch nicht allzu hoch oben im Himmel wie die sechs Etagen über mir, sondern kriegt immer noch ein zutiefst urbanes, brodelndes Leben mit. Ich kratze quasi an den Fassaden und an den Dächern. Ein exquisites Gefühl!

Fotos: Nathan Murrell

Ich bin in der Stadt geboren, und alles, was mehr als 300 Meter von einer U-Bahn-Station entfernt liegt, halte ich für verdächtig. Aber ja, ich gebe zu, der größte und eigentliche Reiz dieser Wohnung ist nicht die Lage, sondern das Haus an sich. Das Hochhaus in der Herrengasse von Theiss & Jaksch gilt als das erste Hochhaus Wiens und ist für mich ein zutiefst wienerisches Etablissement mit einer gewissen Gediegenheit, einem Hauch Noblesse und einem Portier in der Loge, der so professionell ist, dass er den Lebensstil der Bewohner unkommentiert lässt und mit einem scheinbaren Desinteresse weit über den Dingen steht. Unser Portier ist ein Sir. Das alljährliche Weihnachtsgeschenk sorgt dafür, dass das auch im nächsten Jahr so bleibt.

Foto: Nathan Murrell

Eingezogen bin ich 2001. Die Maklerin meinte damals: "Nehmen Sie die Wohnung jetzt, oder sie ist in einer Stunde weg!" Ich habe ihr geglaubt. Nach zehn Minuten war alles unterschrieben. Zu Beginn hatte ich zwei zusammengelegte Kleinwohnungen mit je 35 Quadratmetern angemietet. Mittlerweile bin ich hier bei insgesamt vier Wohnungen und einer Gesamtfläche von 142 Quadratmetern. Sehr lustig: Die Verbindungstür zwischen Wohnzimmer und Schlafzimmerkorridor ist nur 65 Zentimeter breit, sodass man das Frühstückstablett drehen muss, um durchzukommen.

Foto: Nathan Murrell

Ich habe die Wohnung mit einiger Zurückhaltung und Zeitlosigkeit umgebaut. Den Parkettboden habe ich mit weißem Polyurethan-Boden beschichtet und auch sonst alle Einbauten weiß gestaltet. Das hat nichts mit Disziplin zu tun. Es ist vielmehr ein Spiel, sich einer selbst auferlegten Regel unterzuordnen und die Wohnung mit weißen Tischen, weißen Stühlen und weißen Lampen zu bestücken. Das Bettzeug ist weiß, und da gibt es keine Alternative. Und auch ich im weißen Morgenmantel passe ich perfekt ins Bild.

Foto: Nathan Murrell

Alles in allem bleibt die Wohnung eine trockene Veranstaltung. Nur ab und zu bricht irgendwo ein Hauch Rebellion durch. In meiner kleinen Vodka-Martini-Küche gibt es ein dunkles Holzfurnier, das ein bisschen nach Mid-Century aussieht, und im Wohnzimmer gibt es zwei schwarze Wände, die das Weiß der übrigen Wohnung kompensieren. Das Schwarz ist aber auch weiß, denn in der hochglänzenden Oberfläche spiegelt sich das Licht wider, und auf einmal löst sich das Schwarz mit einer immateriellen Leichtigkeit und Eleganz auf. Das ist auch der Grund, warum der Bundeskanzler immer in einer schwarzen Karosse daherkommt. Wiewohl dem aktuellen österreichischen Bundeskanzler ein roter Ferrari besser stehen würde.

Ich lasse keine Socken und keine Unterhosen liegen und fühle mich in dieser Ordnung wohl, denn sie ist Basis für meine Erholung, wenn ich abends von der letzten Besprechung nach Hause komme oder sonntags in der Nase bohre. Ob ich jemals daran denke, aus der Ordnung ausbrechen zu wollen? Ob ich mir je eine orange Stehlampe vom Flohmarkt reinstellen würde? Nein, niemals! Ich halte am Grundsatz fest, dass man sich an der Schönheit der Dinge erfreuen kann, ohne diese selbst besitzen zu müssen.

Stephan Ferenczy in seiner Wohnung im neunten Stock, wo er sich jeden Morgen von der Glocke des Rathausturms wecken lässt.
Foto: Nathan Murrell

Außerdem ist das Weiß ohnehin nur geflunkert. Es sind 50 Shades of White. Mindestens! Ich bin nicht nur Architekt und nicht nur in der Weißheit zu Hause. Hinter der hellen Oberfläche verbergen sich dunkle Abgründe. Ich war viele Jahre lang Präsident des Motorradvereins LMC Vienna. Heute bin ich ein Fernwanderer und liebe es, drei Tage lang mein T-Shirt nicht zu wechseln und in den Wald zu scheißen." (2.5.2019)