Zu viele Sommersprossen, ein Leberfleck, ein Bauch – der neue Gillette-Spot kritisiert jetzt Schönheitsnormen.

Foto: Screenshot YouTube/Gillette Venus

Danke für nichts, Gillette. Nach vielen Jahren der grenzdebilen Werbespots voller dürrer Einheitskörper rund fünfzehnjähriger Mädchen, die wie Synchronschwimmerinnen ihre Beine in die Luft werfen und sich freuen, dass nun endlich der Sommer beginnen kann, weil die Haut dank ausgetüftelter Rasierer superglatt ist. Nach sinnbefreiten Slogans wie "Schöne glatte Haut passt zu allem" adressiert man die Konsumentinnen nun so: "Jeder sollte sich in seiner Haut wohlfühlen." Der Spruch fällt in einem aktuellen Gillette-Spot, der Frauen mit dem einen oder anderen "Makel" zeigt. Ein paar Narben hier, ein dickerer Bauch dort, ein Leberfleck und – um Himmels Willen – Sommersprossen. Vier Frauen erzählen in dem Spot, wie sie schon wegen dieser vermeintlichen Schönheitsfehler gedisst wurden. Vor kurzem haben die von Gillette beauftragten Werbeagenturen wohl genau das mit Frauen gemacht; haben ausschließlich Models gebucht, die wie lebendige Barbie-Puppen aussehen, und haben so zu einem Körperideal beigetragen, unter dem Frauen bekanntlich leiden. Doch jetzt nennt Gillette seine neue Kampagne "My Skin, My Way".

Gillette Venus Deutschland

Hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, warum Dankbarkeit überflüssig ist.

Erstens: Das Klauen feministischer Slogans: "My Body, My Choice", "My Skin, My Way". Gillette ist nicht die erste Firma, die sich am feministischen Begriffsinstrumentarium bedient. Werbeslogans, die sich in ihrem Vokabular um "Autonomie" im weitesten Sinne drehen und sich in erster Linie an Frauen richten, gibt es seit Jahrzehnten. Klarerweise geht es den Unternehmen nicht um die Freiheit von Frauen, sondern um die Freiheit zu wählen –zwischen Venus "Platinum Extra Smooth" und "Venus Simply 3 Sensitive" zum Beispiel. Eine semantische Verwandtschaft zu politischen Parolen wie "My Body, My Choice" auszubeuten ist dreist. Mithilfe von politischen Protesten unter dem Motto "My Body, My Choice" wurde das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und somit ein fundamentales Frauenrecht erkämpft. Das auch nur in die Nähe der Entscheidung zu rücken, mal zu rasieren, mal nicht, ist wirklich alles andere als eine Errungenschaft.

Zwei Härchen unter der Achsel

Zweitens: Werbekampagnen als politische Geste. Konsequent und in Dauerschleife wird und wurde es als selbstverständlich verkauft, dass ein Rasierer der alltägliche Gebrauchsgegenstand einer jeden "gepflegten" Frau sein muss. Rasierer, die in der Damenausführung noch dazu teurer sind. Und jetzt gibt man sich via Kampagne als radikaler Tabubrecher, der mal zwei Sekunden eine Frau mit zwei bis drei Achselhärchen in einem Spot zeigt. Manche Kommentare in sozialen Medien überschlagen sich vor Dankbarkeit für diese zwei Härchen, die allerdings die Ausnahme von der Regel bleiben werden, so viel ist sicher. Rasieren oder nicht? Wenn Gillette – eine Rasierermarke (!) – so tut, als ob es inzwischen völlig unerheblich wäre, ob sich Frauen von oben bis unten rasieren oder nicht, hat das die Glaubwürdigkeit einer Heidi Klum, die womöglich in ein paar Jahren zur schärfsten Kritikerin von TV-Modelcastingshows wird – weil sich das wahrscheinlich gut verkauft.

Drittens: Die doppelte Ausbeutung der gezeigten Frauenkörper, jener innerhalb der Norm und jener außerhalb der Norm. Erst trägt man viele Jahre lang dazu bei, dass genau eine Variante von Frauenkörpern als schön gilt, dass Frauen objektiviert werden, als etwas konstruiert werden, das ständiger Überarbeitung bedarf. Man setzt eine rigide Norm – und holt dann plötzlich Frauen vor die Kamera, die nicht dieser Norm entsprechen.

Was passiert? Die einen rufen "Super! Endlich! Body-Positivity!", (viele) andere reagieren mit beleidigenden Aussagen über die gezeigten dicken Frauen. Was für eine Aufregung! Und mittendrin geriert sich Gillette als Unternehmen, das sich nicht scheut, gesellschaftspolitische Debatten loszutreten.

Das ist natürlich ein schiefes Bild, denn es waren Feministinnen, die seit Ewigkeiten krankmachende Schönheitsnormen thematisieren – ganz ohne damit etwas verkaufen zu wollen. "Kaum wurde das Bild in den Social-Media-Kanälen gepostet, ging es auch schon los", schreibt Kollegin Silvia Follmann für "Edition F". Darin kritisiert sie allerdings nur die feindseligen Kommentare gegenüber dem Curvy-Model Anna O'Brien. Dabei liegt die Vermutung doch nahe, dass dieses "Und schon geht es los" durchaus Teil der Kalkulation ist. Womöglich durfte genau deshalb O'Brien als Gillette-Model auftreten. Die widerlichen Kommentare über sie sind natürlich zu verurteilen, die Strategien großer Werbekampagnen sollten deswegen aber nicht aus dem Blick geraten.

Feministisch unterfüttert

"Eigentlich einfach ein tolles Bild, das viel Lebensfreude transportiert, also genau das, was Werbung in der Regel auslösen möchte – und das noch mit einem erfolgreichen Model", schreibt Silvia Follmann weiter. Nein, Werbung will keine Lebensfreude transportieren, Werbung will etwas verkaufen. Und wenn das feministisch unterfüttert funktioniert, dann wird das genutzt. Um diese Rasierer auch weiterhin an die Frau zu bringen, an die empowerte Frau natürlich. (Beate Hausbichler, 17.4.2019)