Von seinen Wurzeln als schnödes Indie-Games-Festival hat sich das schräge Berliner Festival A Maze nicht nur namentlich entfernt: "Playful Media" und "Arthouse Games" sind inzwischen die Begriffe, die klarmachen, dass hier Kommerz, wie er sich auch im wuchernden Indie-Sektor breitgemacht hat, nichts zu suchen hat. Mit neuer Location und neuem Schwung startete das Festival am Mittwoch, 10. 4., nachdem sein Mastermind Thristen S. Wiedemann einen Abend zuvor am heuer eher skandalträchtigen Galabend der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises den Jury-Award für sein Festival verliehen bekommen hatte.

Und das mit gutem Grund, denn die A Maze ist ein ebenso spannendes wie notwendiges Kontrastprogramm – nicht nur zur eher trocken-steifen deutschen Games-Business-Welt, sondern zur Kommerzialität der gesamten Videospielindustrie. Ein nachträglicher Rundgang zu den Highlights der diesjährigen A Maze Berlin.

"The Book Ritual"

Gleich beim Eingang zur diesjährigen Games-Ausstellung wurde auf ebenso kreative wie humorvoll-schockierende Weise mit älteren Medien gebrochen: In der Videospielinstallation The Book Ritual gilt es, ganz reale Bücher Seite für Seite zu schreddern. Was nach provokantem Vandalismus klingt, erweist sich schnell als liebevoll-kreative Beschäftigung mit analogen und digitalen Medien.

Seine Installation, die sich übrigens mit jedem handelsüblichen Schredder zu Hause nachbauen lässt, will ihr britischer Schöpfer Alistair Aitcheson natürlich nicht als Aufruf zur Bücherzerstörung verstanden wissen: "Ich erzähle eine Geschichte von Schuld und Verlust. Es geht mir um die Gefühle, die dabei aufkommen: wenn sich der Spieler schuldig fühlt, weil er ein Buch zerstört, wenn es sich anfühlt, als ginge etwas Wertvolles verloren. Verlust ist immer eine Gelegenheit, um daran zu wachsen; und Reue kann sehr lehrreich sein."

Alistair Aitcheson

"Mundaun"

Das Schweizer Horror-First-Person-Spiel Mundaun mutet dagegen fast klassisch an und ist STANDARD-Lesern bereits als Indie-Geheimtipp begegnet. In Berlin durfte man das vollständig aus monochromen Bleistiftzeichnungen entstandene Ausnahmespiel, das alpine Mythen ebenso wie modernen Horror als Thema hat, gründlich selbst in Augenschein nehmen.

Der Soloentwickler Michel Ziegler plant, sein Spiel noch dieses Jahr zu veröffentlichen; nach über drei Jahren der Entwicklung ist er aktuell auf Publisher-Suche. Die Mischung aus Adventure, Horror und Erforschung ist dabei kein Walking-Simulator, sondern ebenso klassisch wie herausfordernd geraten.

Michel Ziegler

"The Game: The Game"

Dating-Simulatoren gibt es jede Menge, und in Spielen wie Super Seducer nehmen die berüchtigten Aufriss-Coachs der Pick-up-Artist-Szene auch die männliche Spielerschaft als Zielpublikum vermehrt ins Visier. Die US-Künstlerin Angela Washko nimmt sich in ihrem Spiel The Game: The Game den Bestseller "The Game" (zu Deutsch: "Die perfekte Masche") des "Verführungs-Gurus" Neill Strauss als Titelinspiration und dreht den Spieß um: Statt in der Rolle des Jägers auf virtuelle Frauenjagd zu gehen, sieht man sich als weibliche Hauptfigur mit aggressiven Anmachern konfrontiert.

Die sechs Möchtegern-Romeos – und darin liegt die Brisanz des Spiels – sind allesamt berühmt-berüchtigte reale "Pick-up-Artists", von Strauss bis hin zu weitaus umstritteneren Figuren wie Julien Blanc und Roosh V, die in ihren frauenfeindlichen Aussagen und Methoden global für Widerstand gegen die Szene gesorgt haben. Sämtliche Strategien, die man im Spiel quasi am eigenen Leib erfährt, sind direkt und teils wörtlich den Büchern und Videos der "Verführungs-Coachs" entnommen; ein ziemlich aufschlussreiches Spiel, das ohne Zeigefinger auskommt.

Angela Washko

"Fantasticus Fetus"

Dass sich Spiele auch als Kommentare auf gesellschaftspolitische (Fehl-)Entwicklungen eignen, ist längst bekannt, Fantastic Fetus greift ein aktuell in einigen Ländern der Welt wieder brisantes Problemgebiet auf: Aus Anlass der von reaktionär-klerikaler Seite verschärften Gesetzgebung gegen Abtreibungen in Polen managt man in dem trügerisch pixelknuddeligen Spiel die Schwangerschaft einer Frau nach Art eines Tamagotchis.

Das Spiel soll eine "weibliche Perspektive" auf die europaweit restriktivsten Antiabtreibungsgesetze ermöglichen und für das Thema sensibilisieren; im Browser lässt sich das kleine Spiel mit dem großen Anliegen kostenlos in einer knappen Viertelstunde durchspielen.

Fantastic Humans

"Blabyrinth"

2014 durfte das großartige Multiplayer-Spiel Spaceteam einen A Maze Award abstauben – mit Blabyrinth versuchen sich dessen Macher erneut am kooperativ-hektischen Miteinander. Diesmal ist man gemeinsam mit maximal drei Freunden in dunklen Tempeln unterwegs und kann – erraten – natürlich nur durch clevere Kooperation und vor allem Kommunikation den Schatz im engen Zeitrahmen ans Tageslicht holen.

Immer wieder neu generierte Dungeons sollen ebenso für Abwechslung sorgen wie eine Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben, die sich meist nur gemeinsam bewältigen lassen, Auch dieses Jahr durften sich die Schöpfer von Blabyrinth über den Human Human Machine Award des Festivals für das gelungenste Multiplayer-Spiel freuen.

Henry Smith

"Sticky Cats"

Die Besucher der A Maze wiederum haben sich einen anderen Multiplayer-Spaß als Gewinner des Audience Award ausgesucht: Das supersimple, aber deshalb absurd komische Sticky Cats zog während des gesamten Festivals die Massen an. Zwei bis vier Spieler*innen sollen darin als klebrige Katzen an Fische gelangen – Chaos ist dabei dank schräger Physik und Steuerung vorprogrammiert.

Auch die Macher von Sticky Cat sind keine Unbekannten: Die südafrikanischen Schöpfer des Multiplayer-Kultspiels Broforce und des obszön-absurden Genital Jousting sind wiederkehrende Gäste in Berlin.

Jem Smith

"Operation Jane Walk"

Auch ein österreichisches Team darf sich über einen Preis freuen, allerdings ging der heuer erstmals vergebene Explorer Award der Jury nicht an ein Spiel, sondern an ein Videoprojekt, das in einem Spiel stattfindet: Operation Jane Walk dokumentiert eine touristische geführte Tour durch die architektonischen und kulturellen Sightseeing-Highlights des dystopischen New York in Tom Clancy’s The Division.

Der Künstler Leonhard Müllner und der Stadtforscher Robin Klengel gehen dabei den Kämpfen weitestgehend aus dem Weg und werden zu friedlichen Touristen einer digitalen, der Realität präzise nachempfundenen Welt – eine originelle Mischung aus Let’s Play, Architekturgeschichte und Urbanismusstudie.

Leonhard Müllner

"Kassinn – The Box"

Auch den Gewinner des Hauptpreises der Jury, des Most Amazing Game der A Maze 2019, kann man sich kaum selbst im Wohnzimmer zu Gemüte führen: Kassinn vom isländischen Team Huldufugl ist eine "interaktive Theatererfahrung in VR", in der unter Begleitung einer live mitspielenden und sich per Audio dazuschaltenden Schauspielerin ein Gefängnis in einer zerfallenden virtuellen Welt verlassen werden soll – oder auch nicht.

Schade, dass man viele ausgestellte, aber auch prämierte Spiele ebenso wie die Gewinner nicht zu Hause ausprobieren kann – umso mehr ein Grund, sich das bunte Festival in Berlin nicht entgehen zu lassen. (Rainer Sigl, 20.4.2019)

Huldufugl