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Protest gegen den EU-Austritt in London.

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Labour-Abgeordneter Hilary Benn unterstützt ein zweites Referendum und ist sicher, dass die EU auch über Oktober hinaus verlängern würde, sollte sich das Parlament dazu entschließen.

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STANDARD: Wie soll es nach der neuerlichen Brexit-Verschiebung durch den Europäischen Rat nun weitergehen?

Benn: Zunächst einmal bin ich darüber erleichtert, dass der "No Deal"-Austritt vom Tisch ist. Übrigens muss man fairerweise sagen: Die Premierministerin hat zweimal den Aufschub beantragt, weil sie merkte, dass der No Deal nicht dem nationalen Interesse entspricht. Jetzt müssen wir uns auf die Europawahl vorbereiten ...

STANDARD: ... die aber niemand so richtig will.

Benn: Sie haben recht. Als es um die Frage der Europawahl ging, sagten die meisten: Es wäre vielleicht besser, wir könnten dieses Problem vermeiden. Nun wird sie zu einer Art Ersatzabstimmung darüber, was die Öffentlichkeit wirklich vom Brexit hält. Ein Vorteil dürfte sicher darin liegen, dass mehr Menschen zur Wahl gehen, denn die Beteiligung war ja bisher bei Europawahlen nie sonderlich hoch.

STANDARD: Vor fünf Jahren bemühten sich 34 Prozent der Wählerinnen und Wähler an die Urne.

Benn: Ich bin sicher: Viele Leute, die den Brexit nicht haben wollen, werden diesmal abstimmen. Wie sich das auf die einzelnen Parteien verteilt – Labour, Grüne, Liberaldemokraten -, muss sich zeigen.

STANDARD: Labours Brexit-Politik war bisher, vorsichtig gesagt, nicht besonders eindeutig.

Benn: Wir haben zuletzt als Fraktion für das sogenannte bestätigende Referendum gestimmt ...

STANDARD: ... also eine Abstimmung, bei der das Volk jedweden vom Parlament beschlossenen Deal absegnen muss. Wird dies auch Teil des Labour-Programms für die Europawahl sein?

Benn: Na ja, das muss erst noch entschieden werden. Aus meiner Sicht sollte das so sein. Die Frage lautet dann: Um welchen Deal geht es denn? Entweder es ist das Paket von Theresa May, oder wir kommen zu einer gemeinsamen Lösung bei den Gesprächen, die derzeit zwischen Regierung und Labour-Opposition laufen. Allerdings sieht es nicht so aus, als ob die Regierungsseite sich bewegt. Und wenn das so bleibt, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir zu einem Ergebnis kommen.

STANDARD: Es wäre gar nicht im Interesse Ihres Parteichefs Jeremy Corbyn, der Premierministerin zu einem Deal zu verhelfen.

Benn: Ich sehe das Problem so: Eine Einigung könnte ja in einem gemeinsamen Votum für eine Zollunion mit der EU bestehen. Wenn das aber nicht mit dem bestätigenden Referendum gekoppelt wird, könnten viele Labour-Abgeordnete nicht zustimmen. Das muss eine Paketlösung sein.

STANDARD: Sie waren ursprünglich gegen ein zweites Brexit-Referendum. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?

Benn: Ich fand eigentlich, dass wir das Ergebnis von 2016 respektieren müssen. Aber wir stecken fest. Und das können wir uns auf Dauer nicht leisten. Wir fügen der Gesellschaft und der Wirtschaft großen Schaden zu. Das Verhandlungspaket der Premierministerin mit Brüssel birgt nichts als Unsicherheit – also genau das, was die Wirtschaft nicht will. Deshalb kann ich auch nicht guten Gewissens dafür stimmen.

STANDARD: Sollten Sie Ihren Willen durchsetzen, wäre Großbritannien auch am 31. Oktober noch EU-Mitglied. Denn eine ordnungsgemäße Volksabstimmung lässt sich bis dahin nicht durchführen.

Benn: Sollten wir uns zu dem bestätigenden Referendum entschließen, würde uns die EU zusätzliche Zeit einräumen. Daran zweifle ich keinen Moment. (Sebastian Borger aus London, 18.4.2019)