Solange nicht alles aufgeklärt sei, wolle man "keine Köpfe abschneiden". Auf kaum eine andere Frage antwortete Staatsoperndirektor Dominique Meyer so klar wie auf jene nach möglichen Personalkonsequenzen. Fast verärgert wirkte der 63-Jährige über alle, die sich erdreisten, nach den vom "Falter" aufgedeckten mutmaßlichen Fällen von Gewalt, Drill, sexueller Belästigung und unzureichender medizinischer Betreuung in der Ballettakademie des Opernhauses die Frage überhaupt aufzuwerfen.

Er selbst habe "nie an Rücktritt gedacht", auch für Staatsopernballett-Chef Manuel Legris schien die Möglichkeit eines Rückzugs nicht in Betracht zu kommen. Zwar ist es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass beide von den Zuständen in der Ballett-Talentschmiede nichts mitbekommen haben; es hätte aber doch von symbolischem Verantwortungsbewusstsein gezeugt, Rücktritte zumindest anzubieten – ungeachtet dessen, dass die Verträge Meyers und Legris' nur noch ein knappes Jahr laufen.

Kultur ist nicht nur das, was in den großartigen Theatern und Museen dieses Landes stattfindet, weswegen man diese zu Recht mit Steuermillionen finanziert. Kultur muss es auch im Management von Betrieben geben. Das Wort Rücktrittskultur ist hierzulande noch immer fremd.

Erfolg darf kein Freibrief sein

Was viele Betroffene, Insider und Beobachter gar nicht verstehen, ist, warum die Direktorin der Ballettakademie, Simona Noja, nicht nur weiter Dienst versehen darf, sondern die hauptsächlich betroffene Abschlussklasse sogar selbst zur Matura führen soll. Das Vertrauen in die Direktorin ist beschädigt. Mehrere Schülerinnen berichteten in Medien, dass Noja auf Beschwerden unzureichend reagiert habe. Sie bestreitet das. In der jüngsten Ausgabe des "Falter" kommen allerdings erneut Personen zu Wort, die von einer Mitwisserschaft Nojas bezüglich missbräuchlichen – oder, wie sie selbst sagt, "schlechten" – Verhaltens zumindest zweier nunmehr suspendierter Lehrer ausgehen.

Die Direktorin mag die Situation unterschätzt haben, sie mag sogar Reformbereitschaft zeigen. Doch gemessen an ihren Aussagen ist es mit Verantwortungsbewusstsein auch bei ihr nicht weit her. Die Staatsoper schreckt davor zurück, ihre ehemalige Primaballerina fallenzulassen.

Noja brachte Preise und Ansehen, 90 Prozent der Absolventen schaffen es an große Bühnen. Doch Erfolg darf kein Freibrief sein. Die Ballettausbildung der Wiener Staatsoper braucht einen Neustart. Dazu gehören auch neue Köpfe. (Stefan Weiss, 17.4.2019)