CSI Vienna: Mit einer forensischen Lichtquelle macht Chefinspektor Wolfgang Ondrovics vom Bundeskriminalamt einen Handabdruck sichtbar.

Foto: Robert Newald

Auge, Kamera, Hand – diese Merkregel wird Polizeischülern von Anfang an eingetrichtert und begleitet Polizisten ein ganzes Berufsleben lang. An einem Tatort müssen sich alle Ermittler an diese Reihenfolge halten – außer natürlich es gibt verletzte Personen, die versorgt werden müssen. Ansonsten gilt: Niemand darf einen Tatort betreten, bevor dieser nicht gesichert und genau dokumentiert wurde. Jede nachträgliche und nicht belegte Veränderung oder Fremdspur kann die Aufklärung eines Verbrechens verzögern und unter Umständen sogar verhindern.

"Dass Kollegen vor der Freigabe durch einen Tatort spazieren, kommt aber heute praktisch nicht mehr vor", sagt Chefinspektor Wolfgang Ondrovics. Er war 1992 bei der Gründung der ersten Tatortgruppe in Wien dabei und musste damals viel Überzeugungsarbeit leisten, um Kriminalisten davon zu überzeugen, dass die Aufarbeitung eines Tatorts mit wissenschaftlichen Methoden genauso wertvoll ist wie ein Geständnis. Seit vielen Jahren widmet sich Ondrovics nun schon im Bundeskriminalamt der Spurenauswertung. "Office 6.3 – Crime Scene" steht auf seiner Visitenkarte. DER STANDARD erhielt die seltene Genehmigung, im Labor hinter die Kulissen zu blicken. Wie bei Außerhausbesuchen üblich, wurde das Labor danach wieder DNA-clean gemacht.

Gesicherter Fingerabdruck. Je nach Trägermaterial werden unterschiedliche Substanzen verwendet.
Foto: BK/Ondrovics

Superkleber, Zink, Gold

Um Finger- oder Handabdrücke zu sichern, werden alle möglichen Substanzen verwendet. Gerade hat Chefinspektor Ondrovics einen Spurenträger mit Superkleber bedampft, unter einer bestimmten Lichtquelle färben sich Fettablagerungen weiß, ein ganzer Handabdruck erscheint. Je nach Trägermaterial verwenden die Ermittler auch Zink, Gold oder Jod. Für die Trocknung von Präparaten stehen Klimaschränke zu Verfügung. Manche Ergebnisse sind äußerst flüchtig. Spurenspezialist Ondrovics geht deshalb oft auf Nummer sicher, kopiert oder fotografiert Fingerabdrücke sofort und dokumentiert diesen Vorgang auch. "Jeder Schritt muss nachvollziehbar sein, nur so ist die Arbeit im Labor auch später vor Gericht verwertbar."

Oft geht es auch darum, bestimmte Behauptungen auszuschließen. Beim sogenannten Höhenstraßenmord in Wien beispielsweise starb 2004 eine junge Frau durch die Detonation einer Handgranate im Kofferraum ihres Autos. Der Täter, dem sie kurz davor ihr Haus und ihre Lebensversicherung überschrieben hatte, behauptete, sie habe unsachgemäß mit dem Sprengmittel hantiert. Doch die Spurensicherer entdeckten, dass der Leichnam eine ungewöhnliche Beschmauchung am Oberkörper bis unter die linke Achsel aufwies.

Die Handgranate muss also schon umgesetzt haben, als die Frau nach dem Öffnen des Kofferraums die linke Hand noch oben an der aufgeklappten Hecktüre hatte. Sie hatte keine Zeit, mit der rechten Hand ins Wageninnere zu greifen beziehungsweise die Handgranate versehentlich zu entsichern. Das Gericht stellte später fest, dass es sich um eine Sprengfalle handelte.

UV-Licht bringt Blut- und Sekretspuren zum Leuchten.
Foto: Robert Newald

Sekretspuren zum Leuchten bringen

Gerade bei Bluttaten stellen die Tatortspezialisten meist eine Unmenge von Spuren sicher. Selbst wenn Täter mehrmals mit dem Dampfreiniger sauber machen, bleiben latente Spuren, die ein Querschnittwandler oder ultraviolettes Licht sichtbar machen können. Auch bestimmte Chemikalien können für das menschliche Auge unsichtbare Blutspuren zum Leuchten bringen. Manchmal aber nur für zehn bis 15 Sekunden. Dann fotografieren die Ermittler die Ergebnisse.

Die Fotografie ist überhaupt ein wichtiges Standbein der Tatortarbeit. In Wien wurden Fotografien erstmals um 1860 von der Polizei eingesetzt – vor allem für die Ausbildung, später aber auch zu Fahndungszwecken. Heute werden von einem Tatort oft mehrere hundert Fotos gemacht, von Übersicht- bis Nahaufnahmen.

"Zu Analogzeiten mussten wir im Vorhinein anmelden, wie viele Farbfotos geplant sind", erinnert sich Andreas Frais. Er ist einer der erfahrensten Fotofahnder des Bundeskriminalamts und beherrscht auch noch die Entwicklung von Filmen und Abzügen in der Dunkelkammer. Alte Negative werden nach wie vor etwa bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt und im Fotolabor des Bundeskriminalamtes entwickelt.

Laserpointer zeigt Schussrichtung

Bei komplexen Schussdelikten wenden Ondrovics und Frais eine besondere Methode zur Visualisierung von Schussrichtungen an. Ein Laserpointer liefert die Lichtquelle, bei üblichen Geräten ist aber nur der Endpunkt und nicht der Strahlengang selbst sichtbar. Früher arbeiteten die Tatortermittler mit einer Nebelmaschine, um den Strahl sichtbar zu machen. Doch nun stellen sie die Kamera auf Langzeitbelichtung und verschieben während der Aufnahme ein Blatt Papier im Strahlengang. Aus dem Punkt wird so im fertigen Foto eine Linie, die quasi den eingefrorenen Schuss zeigt.

Andreas Frais ist auch ausgebildeter Drohnenpilot. Jedes Landeskriminalamt hat inzwischen Drohnen für den Einsatz. Die fliegenden Kameras sind der Flugpolizei zugeordnet und werden unter anderem bei Bränden eingesetzt. Drohnen können aber auch bei der Erfassung der Umgebung von Tatorten wertvolle Hinweise etwa auf Fluchtwege liefern.

Tatortfahnder Andreas Frais fotografiert analog und digital, fliegt Drohnen und arbeitet mit nun auch mit leistungsstarken Scannern.
Foto: Robert Newald

Gamechanger Scanner

Aus Luftaufnahmen beziehungsweise Serienfotos lassen sich 3D-Modelle am Computer generieren. Schon seit mehreren Jahren können Tatortteams auf eine Spheron-Scene-Cam zurückgreifen, die Rundumaufnahmen macht. Noch bevor dieser Trend auch in der Unterhaltungselektronik Einzug hielt, kam die Technik etwa bei der Aufarbeitung des Falles Fritzl zum Einsatz. Beim Prozess wurden 3D-Aufnahmen des Verlieses im Keller präsentiert.

Ein Gamechanger könnte die Scannertechnologie werden, die gerade im Bundeskriminalamt eingelangt ist. Sie liefert Daten für Virtual-Reality-Programme. Die ersten Handscanner, die bereits in Betrieb sind, zeichnen sich durch extrem hohe Genauigkeit aus. Das Problem ist noch der enorme Datenanfall, der Workflow muss angepasst werden. Im Vollausbau soll es möglich sein, sich mit VR-Brille durch eine exakte Abbildung eines gescannten Tatorts zu bewegen. Damit könnten dann etwa Zeugenangaben oder Aussagen von Verdächtigen überprüft werden – längst nachdem ein Tatort bereits gesäubert ist. (Michael Simoner, 20.04.2019)