Der gut 150 Jahre alte Grasbaum im Botanischen Garten der Universität Wien begann in der Karwoche mit dem Austreiben der ersten Einzelblüten. Sie bildeten sich am unteren Ende des braunen Blütenschafts, der aus dem Blätterbüschel senkrecht emporragt.
Foto: Klaus Taschwer

Wien – Es ist für Botanikinteressierte in Wien und Umgebung fraglos das Ereignis dieses Frühlings: Im Botanischen Garten der Uni Wien, der unmittelbar neben dem Schloss Belvedere liegt, zeigt ein Grasbaum dieser Tage die ersten Blüten. Das ist aus mehreren Gründen etwas Besonderes, vor allem aber deshalb, weil es sich nach rund 150 Jahren um eine Premiere handelt.

Grasbäume sind ausschließlich in Australien beheimatet, und dieses Exemplar dürfte spätestens in den 1860er- oder 1870er-Jahren nach Wien gelangt sein. Damals war der gebürtige Deutsche Ferdinand von Mueller Leiter der Royal Botanic Gardens in Melbourne. Er könnte den sehr langsam wachsenden und jetzt gut zwei Meter hohen Grasbaum nach Wien geschickt haben. Das nun blühende Wiener Exemplar wäre damit das älteste Exemplar dieser Pflanzengattung in Europa, wie Michael Kiehn erläutert, der Direktor des Botanischen Gartens.

Baum mit besonderen Eigenschaften

Womöglich wurde das Exemplar aber sogar bereits im Jahr 1842 importiert. Aus diesem Jahr liegt ein katalogisierter Bestand der Pflanzen des Botanischen Gartens vor, in dem die Gattung Xanthorrhoea aufgeführt ist. So lautet die wissenschaftliche Bezeichnung der Grasbäume, von der es rund 28 Arten gibt, die wiederum einige sehr besondere Eigenschaften ausweisen.

So wachsen Grasbäume, die zur Ordnung der Spargelartigen gehören, je nach Art zum Teil nur maximal einen Zentimeter pro Jahr. Dafür können sie sehr alt werden. Die ältesten Exemplare werden auf bis zu 450 Jahre geschätzt. Grasbäume sind zudem feuertolerant, manche Arten brauchen Feuer sogar als Stimulans, um überhaupt Blütenstände auszubilden.

Der Grasbaum mit der charakteristischen Blätterkrone und dem neuen Blütenstand obenauf.
Foto: Klaus Taschwer

Manche Grasbaumarten scheinen stammlos zu sein, doch der erste Eindruck trügt: Ihr Stamm mit der Vegetationsknospe liegt unterirdisch und ist so vor Feuer geschützt. Nach Bränden ist der oberirdisch liegende Teil des Stamms gewöhnlich durch den Ruß schwarz gefärbt, was dem Grasbaum in Australien den Beinamen "black boy" eintrug.

Rechtzeitige Entdeckung

In ihrer Heimat sind Grasbäume, die in der Nähe von besiedelten Gebieten wachsen, besonders blühfreudig. Dies führt man darauf zurück, dass es hier öfter zu Buschbränden kommt. Im Botanischen Garten gab es zwar auch diesen Winter keinen Brand, dennoch bildete sich im Winter der über einen Meter hohe Blütenstand aus. Zum Glück wurde der rechtzeitig entdeckt: Der Grasbaum wäre in seinem Winterdomizil bald an die buchstäbliche gläserne Decke gestoßen.

Also wurde er früher als geplant ins Freie gestellt, wo er beim Eingang Mechelgasse auf der rechten Seite unmittelbar vor dem Häuschen des Portiers zu bestaunen ist. Denn seit Anfang dieser Woche trägt der phallische braune Spitz tatsächlich die ersten weißen Blüten.

Im unteren Bereich des Blütenstands zeigten sich dieser Tage (die Aufnahme stammt vom 17.4.) die ersten weißen Einzelblüten. Demnächst sollte der gesamte Schaft weiß eingefärbt sein.
Foto: Klaus Taschwer

Dieses Ereignis wurde auch von den Botanikern der Universität Wien lange herbeigesehnt. Denn bisher war unklar, um welche Art von Grasbaum es sich genau handelt. Doch durch die hunderten weißen Einzelblüten, die aus dem braunen Blütenstand sprießen, wird nun eine genaue Bestimmung möglich. Deshalb wird am nächsten Mittwoch ein Gerüst errichtet werden, um Blüten zu extrahieren, deren Analyse Aufschluss über die genau Art geben sollten.

Offene Fragen, die nun geklärt werden

Unklar ist, wie lange die Blütenpracht zu sehen sein wird. Die Botaniker rechnen mit bis zu einem Monat. Ob der Baum das Blütenereignis übersteht, bleibt abzuwarten. Manche Arten, die endständige Blütenstände bilden, sterben nach der Blüte ab. Manchmal stirbt aber mit dem Blütenstand nur die Endknospe und die Pflanzen verzweigen sich seitlich. Auch aus diesem Grund ist zu einem Besuch des Botanischen Gartens in den nächsten Wochen dringend angeraten.

Offen ist auch, ob der Grasbaum nach der Blüte keimfähige Samen ausbildet. Sollte das der Fall sein, so versichern die Botaniker der Uni Wien, kann eine nächste Generation Grasbäume angesät werden – dann aber mit vollständigem Namen und gut dokumentiert. (Klaus Taschwer, 18.4.2019)