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Ein Maiasaura-Baby erblickt das Licht der Welt. Hinter ihm sieht man das Instrument, mit dem seine Ahnen einst das Land eroberten.
Illlustration: DEAGOSTINI / Science Photo Library / picturedesk.com

Ohne Eier wäre das größte Kolonisierungsprojekt in der Geschichte der Erde eine halbgare Sache geblieben: die Besiedlung des Festlands durch die Wirbeltiere. Deren Landgang, gestartet vor über 360 Millionen Jahren, verlief zunächst in jeder Hinsicht schleppend. So wie die heutigen Amphibien brauchten sie immer noch Wasserflächen, um darin ihren Laich abzulegen und die Larven ihr erstes, freischwimmendes Stadium ausleben zu lassen.

Zeitgleich bewegten sich die Landmassen der Erde aufeinander zu, bis sie sich vor gut 300 Millionen Jahren schließlich zum Superkontinent Pangaea vereinigten. Den zunächst auf Feuchtgebiete in Randlage beschränkten Tieren stand nun so viel Hinterland zur Verfügung wie noch nie. Verlockende Weiten – um diese zu erschließen, brauchte es aber nicht nur gute Beine, sondern auch das richtige Marschgepäck.

Man nehme Eier und Milch

Zum Glück hatte sich das geeignete Objekt da bereits in seiner Urform entwickelt: das amniotische Ei. Es verfügt im Gegensatz zu Amphibieneiern über eine feste Membran, die es nach außen schützt, und ein recht komplexes Innenleben, das Atmung, Nährstoffzufuhr und Abfallbeseitigung erledigt. Vor allem aber ist es ein Behälter voller Flüssigkeit – will man nicht am Wasser bleiben, nimmt man das Wasser eben mit. Alle sogenannten Amnioten, ob Vögel, Reptilien oder Säugetiere, produzieren solche Eier. Die Säuger und einige andere haben nur aufgehört, sie auch zu legen.

Weitere ovoide Innovationen sollten folgen, und zwar recht unterschiedliche. Die Ahnen von Dinosauriern, Vögeln und Krokodilen stärkten die Eihüllen mit immer mehr Kalzium, bis sich daraus die klassische Eierschale entwickelte. Die Eier der Säugetierahnen hingegen blieben so ledrig-weich, wie es beim Schnabeltier noch heute der Fall ist. Dafür dürften sie zusätzliche Pflege durch die Eltern genossen haben.

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Die urtümlichen Ameisenigel und Schnabeltiere haben sich als einzige das Erbe der frühen Säugetiere bewahrt und legen heute noch Eier.
Foto: AP Photo/Mark Baker

2011 schlüsselte der Biologe Olav T. Oftedal von der Smithsonian Institution die molekularen Bestandteile von Säugetiermilch auf und kam zu einem faszinierenden Schluss: Die Vorläufer der späteren Milchdrüsen produzierten zunächst eine Art Pflegeflüssigkeit, mit der die Eier feucht gehalten wurden. Graduell kamen immunisierende und nährende Komponenten hinzu, bis daraus schließlich der heutige Stoff des Lebens wurde. Eier und Milch hat also nicht erst die menschliche Kochkunst zusammengebracht.

Auch die Dinos kümmerten sich derweil um ihre Eier – man hat es bloß erst peinlich spät erkannt. 1979 wurden in Montana die fossilen Überreste einer Nistkolonie entdeckt, ein eindeutiger Beweis dafür, dass hier Brutpflege betrieben worden war. Die betreffende Spezies erhielt die Bezeichnung Maiasaura (übersetzt "Gute-Mutter-Echse") und veränderte nachhaltig unser Dinosaurierbild.

Dabei hätte man längst einen vergleichbaren Beleg vorliegen gehabt: Schon 1924 waren in der Mongolei Fossilien eines ausgewachsenen Dinosauriers neben einem Nest voller Eier entdeckt worden. Weil die damaligen Paläontologen den Dinos aber kein Sozialleben zutrauten, fanden sie für das, was vermutlich ein aufopferungsvolles Elterntier war, eine andere Interpretation und nannten die Spezies Oviraptor, "Eierdieb".

Der vermeintliche Eierdieb (hier im Bild die Oviraptoren-Art Beibeilong beim Brutgeschäft) gehört zu den großen Verkannten der Dino-Geschichte.
Illustration: Zhao Chuang

Was aber nicht heißen soll, dass mit Maiasaura alle altbackenen Vorstellungen verschwunden gewesen wären: Man beachte die Endung -a, den seltenen Fall eines weiblichen Dino-Namens. Dabei ist es mit einem Seitenblick auf die heutige Vogelwelt und deren vielfältige Auslegungen von "halbe-halbe" reine Spekulation, wie sich die verschiedenen Dino-Arten das Brutgeschäft aufteilten.

Während nun die Dinosaurier etwa 160 Millionen Jahre lang über ihren Eiern brüteten (zumindest die Arten, die nicht so massig waren, dass sie den Nachwuchs zerquetscht hätten), feilten die Vorfahren der Säugetiere an ihrer alternativen Strategie. Der Embryo verblieb samt Ei immer länger im Mutterleib, embryonales und mütterliches Gewebe wurden immer stärker integriert – mit der Plazenta der heutigen Säugetiere als höchstentwickelter Ausformung dieses Trends. Wie lange dieser Entwicklungsprozess in Anspruch genommen hat, lässt sich mangels Fossilien nicht sagen. Denn Fruchtblasen und weichschalige Eier bleiben nur unter äußerst selten vorkommenden Bedingungen erhalten.

Kurioser Fall

Oviparie, also Eierlegen, und Viviparie, Lebendgeburten, klingen nach einem Gegensatz. Doch in Wahrheit ist der Übergang erstaunlich fließend. Bei den Wirbeltieren ist er nach heutigem Wissensstand etwa 150-mal unabhängig voneinander und in ganz unterschiedlicher Ausgereiftheit vollzogen worden. Es gibt lebendgebärende Schlangen ebenso wie Amphibien oder Fische.

Und manche Spezies haben sich bis heute nicht entschieden: Bei Saiphos equalis, einer kleinen australischen Echse aus der Familie der Skinke, gibt es vivipare Exemplare ebenso wie ovipare. Und vor zwei Wochen erst haben Forscher der Universität Sydney im Fachblatt "Biology Letters" einen Fall präsentiert, der das sogar noch toppt. Ein und dieselbe Skink-Mutter legte erst ein paar Eier und ließ diesen kurz darauf ein lebendes Geschwisterchen folgen.

Ein Skink schlüpft aus seinem Ei – gut möglich, dass er Brüder oder Schwestern bekommt, die sich diesen "Umweg" sparen.
Foto: Nadav Pezaro, Haifa University

Vor 66 Millionen Jahren wurden alle diese Fortpflanzungsmethoden bereits angewandt. Doch dann kam es zu einem Einschnitt, und den Dinosauriern fiel nicht nur ein Asteroid, sondern auch das Ei auf den Kopf. Um das zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass ein großes Säugetier und ein großer Dinosaurier auf zwei sehr unterschiedliche Lebenswege zurückblicken. Das Säugetierbaby lebt so lange von der Milch seiner Mutter, bis es nach dem Absetzen groß genug ist, um genau dieselbe Nahrung wie sie zu fressen, also dieselbe ökologische Nische wie seine Eltern in Anspruch zu nehmen.

Das Baby eines Riesendinos hatte einige Etappen mehr zu bewältigen. Es schlüpfte aus einem Ei, und Eier können nicht beliebig groß werden. Der Grenzwert liegt dort, wo die Eierschale zwecks Stabilität so dick werden müsste, dass sie keinen Gasaustausch mehr zulassen und der Embryo ersticken würde. Das scheint bei einer Größe von etwas über 30 Zentimetern der Fall zu sein: So groß wurden die Eier des Elefantenvogels, der noch in historischer Zeit auf Madagaskar lebte.

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Eier von Elefantenvögeln tauchen immer wieder auf Auktionen auf. Viele von ihnen sind sehr gut erhalten geblieben, weil die Tiere erst vor etwa 1.000 Jahren ausgestorben sind.
Foto: REUTERS/Suzanne Plunkett

Mit seinen drei Metern Höhe hätte der Elefantenvogel neben den 30 Meter langen Sauropoden des Erdmittelalters, den größten Landtieren aller Zeiten, wie ein Gnom ausgesehen – doch auch deren Nachwuchs schlüpfte aus Eiern vergleichbarer Größe. Die Babys waren also in Relation zu ihren Eltern geradezu bizarr klein: Während das Masseverhältnis zwischen einem ausgewachsenen und einem neugeborenen Elefanten etwa 22:1 beträgt, wog ein Sauropode das Mehrtausendfache seines Nachwuchses.

Die Folge: Ein Jungdino brauchte lange, bis er in der ökologischen Nische seiner Eltern angelangt war, er musste sich über Jahre hinweg Stück für Stück, Nische für Nische hochfressen. Eine vage Ahnung von diesem Effekt bekommt man, wenn man sich heutige Riesenreptilien ansieht, die mit den Dinos verwandt sind: Krokodile. Ein ausgewachsenes Nilkrokodil ist groß genug, um Gnus und Zebras zu erbeuten. Ein Babykrokodil geht auch schon auf die Jagd, allerdings ernährt es sich zur Hälfte von Insekten. Das ist im Prinzip der Speiseplan einer ganz anderen Spezies. Und für diese hypothetische andere Spezies ist nun kein Platz mehr.

Harte Schale, hartes Los

2012 rechnete ein Biologenteam um den südafrikanischen Forscher Daryl Codron die Folgen dieses Effekts vor. Wo unterschiedlich große Säugetiere, von der Gazelle bis zur Giraffe, nebeneinander äsen können, weidete ein heranwachsender Riesendino im Lauf seines Lebens alles im Alleingang ab. Dadurch ergab sich eine Lücke im Größenspektrum der Dinosaurier. Durch die Dominanz der Jungriesen waren die Dinos im Segment von einem Kilogramm bis zu einer Tonne mit relativ wenigen Arten vertreten – anders als die Säugetiere. Als die globale Katastrophe nach dem Asteroideneinschlag so gut wie alle landlebenden Spezies mit mehr als ein paar Kilo Masse auslöschte, hatte das die bekannten fatalen Folgen.

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Überlebenskapsel aus der Altvorderenzeit: Das älteste bislang gefundene Dinosaurierei ist 190 Millionen Jahre alt.
Illustration: Reuters

Beinahe wären die Dinosaurier also just dem zum Opfer gefallen, was ihnen so lange das Überleben gesichert hatte: dem hartschaligen Ei. Zu ihrem Glück waren sie aber im Segment unterhalb eines Kilogramms wieder sehr stark vertreten, nämlich in Form der Vögel. Und da es heute fast doppelt so viele Vogel- wie Säugetierarten gibt, kann man konstatieren: Ein evolutionäres Auslaufmodell ist das Ei noch lange nicht. (Jürgen Doppler, 21. 4. 2019)