Bregenz – Wer in den 1970er-Jahren und auch noch später über die Verordnung raumplanerischer Ziele laut nachdachte, galt als suspekt. Planwirtschaft, Kommunismus wurden unterstellt. Ausgerechnet im konservativen Vorarlberg wagte man sich 1977 an eine Pioniertat. Man schuf die Landesgrünzone. Sie zieht sich von Bregenz bis Bludenz über 30 Talgemeinden im Rheintal und Walgau.

136 km² an zusammenhängenden Freiflächen wurden in der Landesgrünzone gesichert. Landschaftsbild, Naherholungsgebiete, Naturhaushalt und vor allem Landwirtschaftsflächen sollten dadurch vor Verbauung geschützt werden. Das sei auch gelungen, bilanziert Landesstatthalter Karlheinz Rüdisser (VP), in der Landesregierung für Raumplanung und Wirtschaft verantwortlich. Die Landesgrünzone sei in vier Jahrzehnten kaum reduziert worden.

Jährlich gingen aus dem Grüngürtel 2,2 Hektar verloren, errechnete die Raumplanungsabteilung. Rüdisser sieht das als vernachlässigbare Größe und verweist auf die Kompensationspflicht. Lässt eine Gemeinde die Grünzone anknabbern, müssen Ersatzflächen für die Landwirtschaft gewidmet werden.

Industrie oder Ackerland

Als vor drei Jahren die Firma Ölz eine Backwarenfabrik in der Grünzone bauen wollte, wurde eine neue Interpretation der raumplanerischen Ziele von 1977 laut. Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer erinnerten sich an eine Nebenvereinbarung, nämlich die Grünzone als Reservefläche für Betriebserweiterungen zu sehen. Das habe man 1977 zwar nicht festgeschrieben, aber schon so gemeint.

Die Debatte war heftig, schließlich zog Ölz zurück und baute am bestehenden Standort aus. Der nächste Industriebetrieb, der eine Erweiterung in die Grünzone begehrt, ist Rauch als Abfüller von Red Bull. Hochwertiges Ackerland im Walgau soll der Getränkeindustrie zur Verfügung gestellt werden. Örtliche Initiativen, Landwirte und die Grünen protestieren. Noch ist nichts entschieden.

Zertifikatshandel mit Grünland

Weiterer Zugriff auf Ackerland sei verantwortungslos, sagen die Grünen. Zu lasch sei der Schutz der Landesgrünzone. Raumplanungssprecherin Nina Tomaselli spricht von Regelwirrwarr und Aushöhlung der Grünzone durch Sonderwidmung. Insgesamt 325 verschiedene Sondergebiets- und 62 Vorbehaltsflächenwidmungen (von Kleingarten über Sportanlagen bis Steinbruch) gefährden die Qualität der Grünzone, sagt sie.

Zugriff auf die Grünzone soll aus Sicht der Grünen nur möglich sein, wenn es keine Alternative zur Umwidmung gibt und Ersatzflächen in gleichwertiger Qualität zur Verfügung gestellt werden. Denn die derzeitige Umsetzung der Kompensationsauflagen sei Augenauswischerei. "Immer wieder werden Ackerflächen im Tal durch Hangflächen ersetzt", kritisiert Tomaselli.

Sie schlägt ein Kompensationsmodell, angelehnt an den Handel mit Emissionszertifikaten, vor. Gemeinden, die Flächen in die Landesgrünzone einbringen, erhalten Zertifikate. Wer Flächen nach einer transparenten Bedarfsprüfung herausnimmt, muss mit Zertifikaten ausgleichen.

Der Regierungspartner lehnt ab. Die Qualität der Landesgrünzone sei ausreichend gesichert, heißt es aus der Volkspartei. (Jutta Berger, 23.4.2019)