Hansjörg Auer bei der ZDF-Talkshow von Markus Lanz im April 2018.

Foto: imago images / Future Image / gbrci

"Klettern und Bergsteigen im Grenzbereich ist kein Spiel ohne Risiko – aber eines ohne das ich nicht leben kann. Das Spiel ist relativ einfach, die Regeln sind immer die gleichen. Das einzige was zählt, ist der Moment. Ich will etwas tun, das mich fordert. Ganz oder gar nicht", posteten Familie und Freunde von Hansjörg Auer auf dessen Facebook-Seite, nachdem offensichtlich wurde, dass der Ausnahmekönner dieses Mal nicht mehr zurückkehren werde. Der 35-jährige Ötztaler, einer der erstaunlichsten Kletterer und Extrembergsteiger, kam mit den Ausnahmealpinisten David Lama und Jess Roskelley bei einem Lawinenabgang am Howse Peak in den Rocky Mountains ums Leben und schrieb damit ein weiteres Kapitel tragischer Bergsportgeschichte.

Langer Prozess mit positiven Nebeneffekten

"Ich habe auch Momente der Angst", erzählte Auer 2015 dem STANDARD. Wichtig sei, sie in bestimmten Situationen einfach beiseitezulegen, um sich auf seine Aufgabe konzentrieren zu können. Es brauche einen klaren Kopf, und man müsse am Boden bleiben. Beim Klettern gehe es um einen langen Prozess, "in dem Emotionen unterdrückt werden, die idealerweise erst am Gipfel kommen." Ein positiver Nebeneffekt sei, dass "Alltagsprobleme durch Konzentration auf die Sache nebensächlich werden", sagte der Umhausener damals.

Seine Liebe zum Fels hat ihren Ursprung in der Kindheit, früh machte er sich auf in die Berge. Richtig begonnen aber hat sein Abenteuer mit zwölf bei einem Kletterkurs des Alpenvereins. Später packte er mit seinem Bruder Matthias hohe alpine Wände an, so auch die Eiger-Nordwand. Er könne es nicht lassen, sich "der Herausforderung das eine ums andere Mal zu stellen. Ich werde nie aufhören zu suchen, weil das was ich finde, mich jedes Mal aufs Neue fasziniert."

Die Liste der bewältigten Touren des Tirolers ist beeindruckend. In der Szene weltweit bekannt wurde er 2007 mit der Tour "Weg durch den Fisch" (Schwierigkeitsgrad 7b+) in der Marmolata-Südwand in den Dolomiten. Auer bewältigte die 1200 Meter lange Route als erster Mensch "free solo", also ohne Seilsicherung.

Mountainfilm Graz

Er schaffte auch Routen wie "Steps across the Border" (X) an der Marmolata-Südwand, die bohrhakenfreie Erstbegehung von "Silberschrei" (IX) am Heiligkreuzkofel, die erste Rotpunkt-Begehung der "Vogelfrei" an der Schüsselkarspitze und die erste Wiederholung der "Pan Aroma" (X+) an der Westlichen Zinne.

Auer gelangen Erstbegehungen in Patagonien, im Oman und im pakistanischen Karakorum-Gebirge. Oder auch die freie Begehung der "Hallucinogen Wall" an der North Chasm View Wall im Black Canyon in Colorado – eine Tour in einer Wand, die lange als eine der abenteuerlichsten Big Walls Nordamerikas galt. Zu seinen persönlichen Highlights zählten die Erstbesteigungen der Ostwand des 7852 Meter hohen Kunyang Chhish im Karakorum 2013 und des Westgipfels des Lupghar Sar (7157) in Pakistan.

Seine Mutter zündete immer, wenn er steil hinauf wollte, in der Kapelle oberhalb von Umhausen eine Kerze an. Als er von der Marmolata-Südwand zurückkam, "haben mich die Eltern zusammengeschissen, zuerst nicht gratuliert. Später hatten sie Verständnis, dass ich das brauche."

Lehrer für Mathematik und Sport

Der ausgebildete Lehrer für Mathematik und Sport übte seinen Beruf bis 2008 aus, dann wurde er Profibergsteiger. Er musste nie um Unterstützung von Sponsoren fragen, es habe sich einfach im Laufe der Zeit ergeben. "Dabei wollte ich eigentlich nie mit dem Klettern mein Geld verdienen."

In seinem 2017 veröffentlichten Buch "Südwand – vom Free-Solo-Kletterer zum Profibergsteiger" berichtete er über plötzlichen Ruhm, über Vernunft und Leidenschaft im Alpinismus sowie über die Kunst der natürlichen Linie. "Das Schreiben ist mir in den letzten Jahren sehr ans Herz gewachsen. Es hat zwar etwas länger gedauert, da ich jede Zeile selbst schreiben wollte, dafür sind es nun aber sehr persönliche Texte geworden", so Auer, der 1996 mit dem Sportklettern begann.

Im Vorwort schrieb Reinhold Messner, der ihn als einen der Besten, wenn nicht sogar den Besten seiner Zunft ansah: "Auer kommt immer wieder zurück von Bergen, die kaum jemand kennt, und beschwört mit seinen Berichten die Launen der Natur. Wie ein Zauberer. Solange Typen wie Auer Gefahren und Schwierigkeiten in absoluter Exposition aufsuchen und offen darüber berichten, bleibt der traditionelle Alpinismus lebendig und spannend zugleich."

filmfeststanton

Auer war sehr viel und auch gern allein unterwegs, weil Intensität und Herausforderung beim Soloklettern viel größer seien. "Es gibt kein Back-up, das ist psychologisch ein interessantes Thema." Er war sich der Gefahren bewusst, machte sich viele Gedanken: "Besonders wenn ich verletzt bin oder wenn es wieder einmal knapp hergegangen ist. Ich denke an meine Freunde, Ich denke daran wie es wäre, wenn ich einmal nicht mehr zurück käme, wenn ich den Preis für die Berge bezahlen müsste."

Am Nationalfeiertag 2015 verunglückte der 27-jährige Tiroler Gerhard Fiegl im Himalaja tödlich. Gemeinsam mit Auer und Alexander Blümel hatte er zuvor den 6.839 Meter hohen Nilgiri in der Annapurna-Region über die noch unbezwungene Südwand erklettert. Beim Abstieg kam es zu einer Tragödie, als der langjährige Freund vor den Augen seiner Kollegen in den Tod stürzte.

Schwierige Klettereien in großer Höhe seien immer grenzwertig. "Alle noch offenen Projekte im Himalaja sind nicht vergleichbar mit Normalwegen auf Achttausendern und sind keine einfachen, sonst wären sie ja bereits vor vielen Jahren geklettert worden", so Auer, der 2008 in Kalifornien rund 20 Meter abstürzte und sich das Sprungbein brach. "Da merkte ich sehr deutlich, dass ich nicht unsterblich bin."

Hansjörg Auer verunglückte am 16. April 2019 in Kanada tödlich. (Thomas Hirner, 22.4.2019)

Mehr zu Hansjörg Auer:

Auer vom Free-Solo-Kletterer zum Profibergsteiger

Auer: "Werde das Leuchten in Gerrys Augen nicht vergessen"

Auer: "Ich spiele nicht russisches Roulette"