Internationaler Stil in Tel Aviv: Der Dizengoff-Platz um 1950

Foto: Ronny Loewy

Im Keller der Villa Heimann-Rosenthal stehen im Moment sehr viele Orangenkisten herum. Hat die Dame des Hauses einen Spleen für Südfrüchte? Aber nein. Hausherr in der 1864 erbauten Villa ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert das Jüdische Museum Hohenems, das dort seit kurzem die Ausstellung All About Tel Aviv-Jaffa zeigt.

Die Erfindung einer Stadt, so der Untertitel der Schau, wird hier vorgeführt. Etwa mit dem berühmten Foto der angeblichen Gründung Tel Avivs im Jahr 1909: In den Dünen nordöstlich der Hafenstadt Jaffa sieht man Mitglieder einer Siedlungsgenossenschaft beim Verlosen von Parzellen. Aber weder das Jahr noch die Verbindung zum historischen Akt konnten verifiziert werden.

Bauhaus-Stadt

Wahr ist, dass bereits in den 1920er-Jahren eine moderne, auf Sand gebaute Gartenstadt entstand. Eine "Bauhaus-Stadt", wie Tel Aviv wegen der Gebäude aus dieser Zeit gern genannt wird, war die "Weiße Stadt" am östlichen Mittelmeer aber nur beschränkt. Lediglich ein Architekt, der an der legendären Kunstschule studiert hat, hat in Tel Aviv Häuser gebaut: Arieh Sharon. Aber ein erfolgreiches "Branding" gehört schon seit mehreren Jahrzehnten zum Markenzeichen der pulsierenden Millionenstadt: Im Moment wird Tel Aviv als die pulsierende, regenbogenbunte Partystadt vermarktet.

Es gehört zu den vielen Stärken dieser von Hannes Sulzenbacher , Ada Rinderer und Hanno Loewy kuratierten Ausstellung, dass sie nicht nur viele PR-Phrasen hinterfragt, sondern sich auch den dunklen Stellen Tel Avivs und ihrer Vergangenheit widmet: der Ghettoisierung und der Vertreibung der arabischen Bevölkerung von Jaffa, dem Umgang mit Flüchtlingen und Armutsmigranten aus Afrika, größenwahnsinnigen Bauprojekten, der Gentrifizierung, der ständig präsenten Bedrohung durch Attentate und Raketenangriffe.

Bittere Wahrheiten

Und was haben nun die vielen Orangenkisten mit der Geschichte dieser Stadt zu tun? In ihnen wird die berühmte Jaffa-Orange (die für die Palästinenser wiederum zum Symbol für ihre Vertreibung geworden ist) in die weite Welt hinaus exportiert – wenn auch nicht mehr in denselben Quantitäten wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Die adaptierten Transportbehälter (und zahlreiche weiße Kuben) dienen als Präsentationsmöbel für die Ausstellungsobjekte. Zu kosten bekommt man die Jaffa-Orange leider nicht, das hätte die bitteren Wahrheiten dieser geschichts- und lehrreichen Städtetour wahrscheinlich zu sehr versüßt. (Stefan Ender, 23.4.2019)