Zsam, zsam, zsam zsam: Wer meint, in diesen schlichten Silben das Glucksen eines Vögelchens zu hören, der irrt. Trinkfeste verstehen wohl, worum es geht: Geistiges rinnt besser nach einem markigen Sprücherl durch die Kehlen. Und: Zusammen trinken – kurz zsam – ist lustiger. Genussvoll, und nicht, um sich unnobel "abzufüllen", wie es im Volksmund so schön heißt.

Man gibt sich viel Mühe im deutschen Wolfenbüttel, um zu erklären, wo der Unterschied zwischen dem einen und dem anderen liegt. In Workshops lernen Besucher, wie ein bittersüßes, braunes Gebräu hier entsteht. Man plaudert über Kopfnoten, Fässer, Lager, Trinkempfehlungen, um der Meinung entgegenzuwirken, Kräuterlikör bleibe Kräuterlikör. Die Kleinstadt in Niedersachsen ist die Heimat des Kräuterlikörherstellers Jägermeister, der Marke mit dem Hubertus-Hirsch auf dem Etikett.

Was in Produkten verarbeitet wird, interessiert die Konsumenten immer mehr. Die Spirituose wird nicht destilliert, das angewandte Verfahren heißt Mazeration. Dabei werden die Kräuter in einem Gemisch aus Alkohol und Wasser angesetzt. Aus vier verschiedenen Mazeraten wird dann der Stoff gemischt, der in großen Eichenfässern noch etwa ein Jahr reifen muss.
Foto: Marek Kruszewski

Das 1878 gegründete Unternehmen ist immer noch in Familienhand. Wilhelm Mast hieß der Mann, der mit Essigfabrik und Weinhandel in Wolfenbüttel begonnen hat. Sein Sohn Curt erfand 1934 das Rezept für den Kräuterlikör. Es waren die Jahre, da Waidmänner mit ein paar Stamperln auf die Jagd angestoßen haben, und Zeiten, wo gegen ganze Kerle und jede Menge Alkohol niemand etwas einzuwenden hatte.

80 Jahre später hat sich der Wind in vielen Dingen gedreht. Der Kräuterlikör beruht allerdings seit Jahr und Tag auf demselben Rezept. Man nehme neutralen Alkohol und 56 Kräuter. Die genaue Mischung ist natürlich Betriebsgeheimnis. Ingwer, Zimt, Sternanis, Kardamom, Orangenschale, Limette, Lavendel, Vanille und andere Gewürze werden zu sogenannten Mazeraten angesetzt – also in ein Alkohol-Wasser-Gemisch eingelegt. Nach einjähriger Lagerung in Eichenfässern ist das Gemisch reif.

Sternanis, Nelke, Ingwer, Orange, Limette, Süßholz, Galgant et cetera. Insgesamt 56 botanische Rohstoffe sind enthalten.
Foto: Marek Kruszewski

Gar nicht einfach, die Gewürze, die aus aller Herren Länder kommen, immer in der richtigen Qualität zu bekommen, sagt Produktionsleiter Berndt Finke. Orangenschalen kommen derzeit etwa aus Ghana. Umgekehrt wird auch der Likör weltweit vertrieben. China ist derzeit Hoffnungsmarkt.

Es gibt auf der Weltkarte, die in einem der Gänge des nüchternen Baues am Firmenhauptsitz hängt, wenige weiße Flecken. Meist sind es muslimisch geprägte Länder. Und es gibt Österreich. Ein Unikum im Reich des Spirituosenherstellers. Während der Rest der Welt mit Likör aus Wolfenbüttel beliefert wird, füllt hierzulande die Destillerie Franz Bauer in Graz auf Lizenzbasis ab. Viermal pro Jahr kommt der Tankwagen nach Österreich, sagt Markenmanagerin Anna Zenz. In Graz wird der Grundstoff mit Alkohol, flüssigem karamellisierten Zucker und Wasser vermischt. Österreich nimmt auch in anderen Dingen eine Sonderstellung ein. Hier gehen die Kleinformate weltweit am besten – Skihütten sei Dank.

Alkohol und Zucker sind heute nicht mehr so ohne weiteres angesagt. Ob sich der Flachmann in der PET-Flasche durchsetzt, wird sich zeigen.
Foto: Marek Kruszewski

Erst im vergangenen Jahr knackte man einen Rekord: Mehr als zwei Millionen 0,7-Liter-Flaschen wurden abgesetzt. Zählt man alle Flaschen zusammen, waren es fast 40 Millionen. Und das in Zeiten, in denen Zucker zunehmend als böse gebrandmarkt wird, Influencer grüne gesunde Smoothis nippen und zur Entschlackung rufen – ganz ohne Alkohol versteht sich.

Die Zeit bleibt aber nirgendwo stehen. Opa und Omi tranken einst Kräuterlikör nach dem Essen, gut für den Magen hieß es da. In den 1990er-Jahren kam der Durchbruch in Amerika. Das Unternehmen ließ damals einige Konkurrenten wie die italienischen Kräuterliköre Ramazotti, Averna, Fernet Branca oder den tschechischen Becherovka sowie Underberg hinter sich. Dann kam die Zeit der Partymacher und Partykracher. Durch Clubs und Bars zogen leichtbekleidete junge Frauen in Jägermeister-Uniform.

Sportsponsing – mit diesem Thema wurde Jägermeister einst berühmt. Das hat dazu geführt, dass das familiengeführte Unternehmen zunächst in Deutschland so richtig bekannt geworden ist.
Foto: Regina Bruckner

Jetzt kommt es nicht mehr allzu gut, für ungezügelten Alkoholkonsum zu werben. Der Spirituosenmarkt schrumpft leicht. Und Jägermeister wird wieder von der Partydroge zum Kräuterlikör. Das Faible für Marketing liegt in der Familie, seit 1973 der damalige Jägermeister-Chef Günter Mast das Kunststück zuwege bringen wollte, dass der Jägermeister-Hirsch die Leibchen der Kicker von Eintracht Braunschweig ziert. Kräuterlikör als Sportsponsor gab es bis dahin nicht.

Der Marke verhalf das zu einigem Ruhm. Auch wenn man sich vom Sportsponsoring wieder verabschiedet hat, in Sachen Werbung sind die Wolfenbüttler gut drauf, sagt der Markenexperte Klaus-Dieter Koch von Brandtrust. "Jägermeister hat in den letzten zehn bis 15 Jahren wie kaum eine andere Spirituosenmarke den Turnaround vom traditionellen Kräuterlikör zum Lifestyleprodukt geschafft."

Was Marketing betrifft, so lässt man nicht gerne aufgelegte Gelegenheiten aus. Als der Bayern-Fußballer Franck Ribéry mit seinem Goldsteak um 1.200 Euro auffiel, kreierte man in Wolfenbüttel kurzerhand eine limitierte Edition in der Goldflasche. Mittlerweile werden sie auf so manchen Verkaufsplattformen teuer verscherbelt.
Foto: Regina Bruckner

Man hält Platz neun bei den Spirituosenherstellern. 2018 stieg der Absatz um fünf Prozent auf 97 Millionen 0,7-Liter-Flaschen. Einsame Spitze ist Smirnoff vor Jonny Walker, Bacardi und Jack Daniels. Herausforderungen sieht Koch einige. "Die heranwachsenden Generationen wie Millennials und Gen Z verlangen nach Zugehörigkeit, Augenhöhe und Interaktion." Die Marke müsse sich öffnen. Zudem sei der Konsument ernährungsbewusst und aufgeklärt wie nie zuvor. Es gelte, die "sündhafte" Seite wie Alkohol und Zucker aufzugreifen. Die Wolfenbüttler versuchen es derweil mit einem neuen Produkt. Jetzt kommt ein Flachmann in der PET-Flasche. (Regina Bruckner aus Wolfenbüttel, 23.4.2019)