Im europäischen Binnenmarkt sollte es für die Wirtschaft eigentlich keine Grenzen geben. Doch wer den Sitz einer Gesellschaft von einem EU-Land in ein anderes verlegen will, stößt immer noch auf große Hindernisse. Der einzige Weg, der dabei Rechtssicherheit bietet, ist die grenzüberschreitende Verschmelzung, die seit 2007 fest geregelt ist. Zwar hat der Europäische Gerichtshof auch eine direkte Sitzverlegung für zulässig erklärt, aber ein Unternehmen, das etwa von Österreich nach Italien übersiedeln will, läuft Gefahr, am Ende rechtlich nirgendwo zu existieren.

Das Gesellschaftsrechtspaket, das vergangene Woche im Europaparlament verabschiedet wurde, soll hier Klarheit schaffen. Erstmals werden auch die Sitzverlegung und die grenzüberschreitende Spaltung, also die Übersiedlung eines Unternehmensteils, geregelt. Bei der Umsetzung können Staaten sicherstellen, dass durch den Wegzug einer Gesellschaft keine öffentlichen Interessen geschädigt werden, indem etwa Gläubiger oder die Steuerbehörden durch die Finger schauen.

Novität in Europa

Unterstützt werden sollen diese Transaktionen durch den Einsatz digitaler Werkzeuge in allen EU-Mitgliedstaaten. "Technisch müssen die Staaten gewährleisten, dass die Verfahren online möglich sind", sagt Michael Umfahrer, der Präsident der Österreichischen Notariatsakademie, dem STANDARD. "Und hier stand Österreich Pate, denn seit Jahresanfang ist dank des neuen Elektronischen Notariatsform-Gründungsgesetzes (ENG) die Gründung einer GmbH ohne physische Anwesenheit der Gesellschafter möglich – eine Novität in Europa.

Dafür braucht der Notar ein Identifizierungsverfahren per Video sowie eine sichere Datenleitung mit einem sicheren virtuellen Datenraum. Zum Schluss wird eine elektronische Urkunde mit elektronischer Unterschrift erstellt. "Das geschieht ganz ohne Papier und ist dennoch sicher", sagt Umfahrer, der selbst ein Notariat in Wien führt.

Die gesellschaftsrechtlichen Änderungen und die Rolle der digitalen Technologie sind auch ein zentrales Thema bei den Europäischen Notarentage am Freitag in Salzburg.

Heikle Grenzüberschreitung

Sitzverlegungen sind eine heikle Angelegenheit, weil man mit unterschiedlichen Behörden und Rechtsrahmen zu tun hat, betont Umfahrer. "Wenn eine GmbH von Deutschland nach Österreich übersiedeln soll, dann müssen die Verfahren genau aufeinander abgestimmt werden. So muss vor der Löschung in Deutschland sichergestellt werden, dass sie in Österreich schon rechtlich existiert." Gerade das werde durch eine digitale Umsetzung deutlich leichter.

Die Mobilität von Gesellschaften wurde durch den EuGH verstärkt, der in seiner Judikatur die angelsächsische Gründungstheorie übernommen hat. Demnach kann eine Gesellschaft in einem Land Zweigniederlassungen betreiben, ohne dort aktiv zu sein. In Kontinentaleuropa gilt die Sitztheorie, wonach es Aktivitäten geben muss. Ist die Richtlinie erst einmal umgesetzt, wird mit mehr Sitzverlegungen zu rechnen sein. (Eric Frey, 23.4.2019)